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Der Verehrer

Der Verehrer

Titel: Der Verehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Paul.
    »Wie gut, daß du kommst«, begrüßte er sie mit nahezu dem gleichen Wortlaut wie seinerzeit Robert. »Ich hoffte, freitags würdest du früher zu arbeiten aufhören.«
    »Tu’ ich auch. Aber ich hatte noch eine Verabredung.«
Sie wies auf seinen Koffer und die Reisetasche. »Du kommst nicht bloß auf einen Sprung vorbei, oder?«
    »Nein. Ich bin daheim ausgezogen.«
    »Ach, du lieber Gott«, sagte Leona.
    Es hatte so kommen müssen, aber trotzdem war sie tief erschrocken. Sie schloß die Haustür auf.
    »Komm erst einmal rein.«
    Er stellte sein Gepäck im Eingang ab und folgte ihr ins Wohnzimmer, wo Linda am Fenster saß und sehnsüchtig in den Frühlingstag hinausstarrte. Leona ließ ihre Tasche auf einen Stuhl fallen, ging an den Schrank, nahm zwei Gläser heraus und schenkte Cognac ein.
    »Hier!« Sie reichte Paul ein Glas. »Das kannst du wahrscheinlich brauchen.«
    »Danke.« Er trank das Glas in einem Zug leer. »Das war wirklich genau das Richtige.«
    Er stellte das Glas auf den Tisch und kam ohne Umschweife zur Sache.
    »Leona, ich weiß, das wirkt jetzt ziemlich überfallartig. Aber hättest du etwas dagegen, wenn ich eine Weile bei dir wohnte? Ich will absolut nicht auf deine Kosten leben, ich werde selbstverständlich für alles aufkommen, was ich hier verbrauche. Ich könnte natürlich auch in ein Hotelzimmer gehen, aber …« Er machte eine hilflose Handbewegung. »Ich fürchte, einsame Abende in einem Hotel deprimieren mich so, daß ich in drei Tagen zurückgehe nach Lauberg.«
    Leona fühlte sich unbehaglich. Sie mochte Paul, und es hätte sie normalerweise nie gestört, ihn in ihrem Haus zu beherbergen. Aber schlug sie sich damit nicht auf seine Seite, gegen ihre Schwester?
    »Paul …«, sagte sie zögernd.
    Er wußte sofort, was in ihr vorging.
    »Olivia weiß, daß ich dich frage, ob ich hier wohnen
kann. Sie ist einverstanden. Sie sieht es genauso wie ich: Wir brauchen eine Zeit der Trennung, um herauszufinden, wie es weitergehen soll.«
    »Schön. Von mir aus kannst du natürlich bleiben.« Sie breitete die Arme aus, als wolle sie das Zimmer, das Haus umfangen. »Fühle dich wie daheim!«
    Er lachte gequält. »Lieber nicht. Es soll wirklich nur für kurze Zeit sein.«
    »Willst du reden?« fragte sie.
    »Später. Ich würde gerne auspacken, duschen. Danach gehen wir essen, okay? Ich lade dich ein.«
    »Gerne. Komm, ich zeig’ dir dein Zimmer.« Sie ging vor ihm her die Treppe hinauf, öffnete die Tür zum Gästezimmer. »Hier. Das ist dein Reich. Du hast ein eigenes kleines Bad nebenan. Ich hoffe, du fühlst dich wohl.«
    »Ganz sicher.« Er hielt ihren Arm fest, als sie an ihm vorbei wieder hinauswollte. »Danke, Leona. Ich weiß, es ist unmöglich, hier mit gepackten Koffern aufzutauchen und dich um Unterkunft zu bitten. Es ist alles so schnell gegangen … Ich werde bestimmt versuchen, daß sich die Dinge rasch klären – so oder so.«
    »Laß dir Zeit. Du kannst hierbleiben, solange du möchtest. Ich bin froh, wenn ich euch beiden helfen kann.«
    Leona ging in ihr eigenes Zimmer hinüber. Aufatmend streifte sie die Schuhe ab. Es war ein langer Tag gewesen, aber trotzdem freute sie sich auf das Essen mit Paul. Sie dachte an das Treffen mit Bernhard Fabiani und mußte lächeln. Er war ihr sympathisch gewesen, und er hatte offensichtlich auch Gefallen an ihr gefunden. Sie mußte vorsichtig sein. Zu viele Frauen liebten ihn, zu viele Frauen liebte er. Seine tiefen Blicke waren vielfach erprobt. Er war sich seiner Wirkung wohl bewußt und spielte mit ihr, wann immer sich eine lohnende Gelegenheit bot.

    Die Geschichte mit Robert reicht erst einmal, dachte sie, für einige Zeit werde ich die Finger von den Männern lassen.
    Sie beschloß, ebenfalls zu duschen. Sie zog sich aus, schaltete währenddessen den Fernseher im Schlafzimmer ein. Es lief irgendeine Musiksendung. Leise summte sie das Lied mit, das gerade gespielt wurde.
    Ihr Bad grenzte direkt an das Schlafzimmer, erreichbar durch eine Tapetentür. Sie ging hinüber und zog den Duschvorhang zurück, und dann fing sie an zu schreien, schrie, bis sich ihre Stimme zum Kreischen steigerte und überschlug und bis ein fast zu Tode erschrockener Paul neben ihr erschien und fassungslos auf das blutige, glitschige Auge starrte, das auf dem weißen Keramikboden der Dusche lag.
     
    Erst eine halbe Stunde später hatte sich das Zittern in Leonas Händen so weit beruhigt, daß sie das zweite Glas Cognac an den Mund führen und daraus

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