Der Verehrer
trinken konnte. Der Alkohol rann ihr heiß die Kehle hinunter, ließ sie sich ein klein wenig besser fühlen. Auf ihrem Gesicht lag ein feuchtkalter Schweißfilm. Ihr Herzschlag schien von den Füßen bis in den Kopf hinauf zu hämmern. Ihr war sehr übel, und sie fürchtete, sich irgendwann im Laufe des Abends übergeben zu müssen.
Sie fror erbärmlich, obwohl sie ihren flauschigen Winterbademantel trug, direkt an der Heizung im Wohnzimmer kauerte und Linda als wärmendes Fellbündel auf dem Schoß liegen hatte.
Alles wird gut werden, sagte sie zu sich, aber sie glaubte nicht wirklich daran.
Sie hatte erst aufgehört zu schreien, als Paul sie an den Schultern gepackt und geschüttelt und schließlich aus dem Bad zurück ins Schlafzimmer geschoben hatte.
»Sei jetzt still!« herrschte er sie an. »Sei still!«
Sie klappte den Mund zu und verstummte.
Für den Moment war sie nicht in der Lage, in irgendeiner Hinsicht die Regie zu übernehmen, und so ging Paul in die Küche hinunter und stöberte auf eigene Faust in den Schubladen herum. Schließlich kehrte er mit einer Plastikdose zurück.
»Was willst du tun?« fragte Leona.
Sie stand noch immer mitten im Schlafzimmer, hielt ein Handtuch vor ihren nackten Körper und zitterte bereits unkontrolliert.
»Ich tue das … es da hinein«, sagte Paul.
»Weißt du … was es … ich meine, wem hat es …«
»Es ist das Auge von einem großen Tier«, sagte Paul, »ich vermute, von einem Rind.«
Um ein Haar wäre sie erneut hysterisch geworden. »Ich will es nicht im Haus haben! Ich will es – hörst du – auf gar keinen Fall im …«
»Ich verschließe es in dieser Dose und werfe alles zusammen in die Mülltonne, in Ordnung?«
In ihrer Kehle würgte es. »Du … willst es doch nicht anfassen? «
Rauher, als es sonst seine Art war, erwiderte er: »Irgend jemand muß es ja tun, oder? Du willst doch wohl nicht, daß es da in der Dusche verschimmelt!«
Damit verschwand er im Bad, und als er mit der verschlossenen Dose in der Hand wieder durchs Zimmer ging, sagte Leona kein Wort mehr.
Unten im Wohnzimmer, nach dem ersten Schluck Cognac, konnte sie schließlich wieder sprechen.
»Ich muß die Polizei anrufen.«
Paul stand am Fenster, sah in die einfallende Dunkelheit hinaus. Nun drehte er sich zu ihr um.
»Weswegen? Es ist nichts geschehen, weshalb die Polizei herkommen würde.«
»Vor einer Woche wurde Dolly vergiftet. Und jetzt das. Reicht das nicht?«
Paul wußte von Dollys Tod, da Leona Elisabeth angerufen und ihr davon berichtet hatte. Nicht erwähnt hatte sie allerdings ihren Verdacht gegen Robert. In der Familie hielt man Dollys Tod für einen tragischen Unfall.
»Ja, und?« fragte Paul. »Was meinst du mit ›Reicht das nicht‹?«
»Jemand hat Dolly vergiftet. Jemand hat mir ein … ein Rinderauge in die Dusche gelegt. Jemand versucht, mich fertigzumachen.«
»Hast du eine Idee, wer ›jemand‹ ist?« wollte Paul wissen, in einem Ton, der besagte, daß er an das Vorhandensein eines unbekannten Feindes draußen in den dunklen Tiefen der Nacht nicht glaubte.
»Robert«, sagte Leona.
Paul brauchte eine Sekunde, um zu erfassen, von wem sie sprach. Er hatte Robert nie kennengelernt, da er über Weihnachten ja mit Olivia verreist gewesen war, aber er hatte natürlich von dem neuen Mann in Leonas Leben erfahren und auch davon, daß die Geschichte bereits wieder beendet war. Er entsann sich, daß Carolin bei einem Abendessen verkündet hatte, dieser Robert sei ein »erstklassiger Spinner«, aber er hatte nichts darauf gegeben, weil er nie etwas auf das gab, was Carolin sagte.
»Robert?« fragte er.
Sie stützte den Kopf in die Hände.
»Niemand glaubt mir das. Lustigerweise nicht einmal Wolfgang, obwohl er mich immer vor Robert gewarnt und alles mögliche Unheil gewittert hat. Aber jetzt, wo wirklich schreckliche Dinge passieren, scheint es niemand
für möglich zu halten, daß Robert dahinterstecken könnte.«
»Hast du die Beziehung beendet? Und glaubst nun, er könnte sich deswegen rächen wollen?«
»Ich weiß, daß das absurd klingt. Ich habe auch immer gedacht, solche Dinge passieren nur in Filmen. Aber wieso eigentlich? Das wirkliche Leben ist voll davon. Du mußt nur die Zeitung aufschlagen, und du wirst mit kranken Gehirnen und perversen Veranlagungen aller Art konfrontiert.«
»Hattest du denn bei diesem Robert den Eindruck, daß etwas nicht stimmte?«
»Ja. Deswegen habe ich mich getrennt. Und«, fügte sie trotzig hinzu, »ich
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