Der Verehrer
hat.«
»Das ist doch Unsinn!« entgegnete Wolfgang scharf.
»Wie du mir erzählt hast, war sie eine immer noch junge, attraktive Frau!«
»Was hat denn jetzt das eine mit dem anderen zu tun?«
»Wenn ihr Mann sie wirklich betrogen hat, muß das für eine solche Frau doch kein Weltuntergang sein. Ich bitte dich! Achtunddreißig Jahre alt, gutaussehend. Sie hätte sich leicht neu orientieren können. Sie mußte nicht in einem Tränenmeer versinken!«
»Vielleicht hat sie ihn auf eine Art und Weise geliebt, die es ihr nicht möglich machte, mit einem anderen Mann etwas anzufangen. Das kann doch sein.«
»Sentimentaler Blödsinn! Wenn man dreißig Jahre oder länger mit einem Menschen zusammen war, hat man es womöglich sehr schwer, sich einen anderen vorzustellen. Aber so lange können die beiden gar nicht verheiratet gewesen sein. Und, wie gesagt, für Torschlußpanik war sie dann doch noch zu jung!«
Er war jetzt zornig und heftig, und Leona fragte sich, weshalb er sich so erregte. Bisher hatte er auf das Thema Eva gelangweilt oder genervt reagiert. Auf einmal schien er ernsthaft wütend.
Sie schwang die Beine aus dem Bett, angelte sich ihre Hausschuhe.
»Ich gehe ins Wohnzimmer«, sagte sie, »ich will ein bißchen fernsehen. Ich glaube, ich kann jetzt einfach nicht mehr einschlafen.«
Er machte keinen Versuch, sie zurückzuhalten.
2
Wie schön sie eine Leiche herrichten können, dachte Lisa.
Sie betrachtete das ruhige, sanfte Gesicht ihrer Schwester.
Oft schon hatte sie die Leute den Frieden in den Gesichtern von Toten beschreiben hören, aber sie hatte das für ein Klischee gehalten, für eine Behauptung, der, da sie nun einmal aufgestellt war, jeder bereitwillig folgte. Der Friede in den Gesichtern der Toten und der damit verbundene Gedanke an ihre Erlösung von allem irdischen Leid stellte einen wertvollen Trost dar, den einzigen Trost oftmals, den man finden konnte. An irgend etwas mußte man sich festhalten.
Aber Anna sah wirklich friedlich aus, fand Lisa. Als schliefe sie und habe dabei einen schönen Traum. Man hatte Dreck und Blut von ihrem Gesicht gewaschen, Gras und Äste aus ihren Haaren gekämmt. Wer sie so sah, hätte nicht vermutet, daß sie eines gewaltsamen Todes gestorben war.
Ihr Körper, dachte Lisa, sieht vermutlich weniger schön aus. Die vielen Stichwunden ließen sich wohl kaum verbergen. Der Mörder hatte sie wie ein Wahnsinniger mit dem Messer traktiert.
Sie hatte es gesehen. Sie hatte ihre Schwester identifizieren müssen. Sie hörte ihren Vater hinter sich leise schluchzen und wandte sich zu ihm um. Während der letzten zwei Wochen schien er um wenigstens zehn Jahre gealtert. In seinem zerfurchten Gesicht standen Ratlosigkeit und Entsetzen.
Sanft berührte sie seinen Arm. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht mitkommen, Vater. Die Beerdigung wird schwer genug werden für dich. Warum mußtest du sie dir noch einmal ansehen?«
»Weil ich Abschied nehmen wollte«, murmelte Johann.
Ihm war deutlich anzusehen, daß er sich unwohl fühlte in dem dunklen Anzug, der an manchen Stellen schon grünlich schimmerte vor Alter. Sein Hochzeitsanzug, fast
dreißig Jahre alt. Er hing wie ein Sack an ihm. Lisa dachte daran, wie stattlich ihr Vater noch bis vor zwei Jahren gewesen war. Ehe der Krebs zugeschlagen hatte. Zuerst in der Lunge; sie hatten ihm daraufhin einen Lungenflügel entfernt. Aber dann waren Metastasen im Darm und im Magen aufgetreten. Neuerdings sprach er oft von Schmerzen in den Knochen, konnte sich an vielen Tagen kaum bewegen. Lisa war mit seiner Pflege vollauf beschäftigt. Da sie es an seinen schlimmen Tagen nicht schaffte, ihn aus dem Bett zu heben und ins Bad zu bringen oder ein paar Schritte im Garten mit ihm spazierenzugehen, hatte sie bei einem privaten Pflegedienst im Nachbarort angerufen und um Hilfe gebeten. Seitdem kam Benno jeden zweiten Tag vorbei, ein netter, nicht mehr ganz junger Mann, der zwar kein ausgebildeter Pfleger war und weder Medikamente verabreichen noch Spritzen geben durfte, aber über die nötige Kraft verfügte, den Schwerkranken zu stützen oder sogar zu tragen. Seine Hilfe stellte eine große Erleichterung für Lisa dar.
Benno war dagewesen an jenem warmen Tag vor zwei Wochen, als die Polizei geklingelt hatte. Es war später Nachmittag gewesen, Lisa hatte gerade zum Einkaufen gehen wollen und hatte Benno gebeten, so lange bei ihrem Vater zu bleiben. Es ging ihm schlecht, man konnte ihn nicht allein lassen.
Benno hatte die Tür
Weitere Kostenlose Bücher