Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
worden, obwohl der Assassino Philotheos um Unterstützung bat.
Zum Zeitpunkt Eurer Abreise war Vitelleschi in Rom. Als Kardinallegat hat er von mir den Befehl erhalten, in der Ewigen Stadt für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Das tut er mit allen Mitteln, obwohl ich die Anwendung von Gewalt zutiefst missbillige. Er kämpft gegen Eure Familie und befiehlt Folterungen und Hinrichtungen, um endlich die Macht der Colonna zu brechen.« Eugenius stellte das Holzpferdchen zurück auf den Tisch. »Aber hat er den Befehl gegeben, Euch und Euren Vater zu ermorden?«
Ich antwortete nicht.
»Ihr habt keinen Streit mit Vitelleschi! Ganz im Gegenteil: Im Palazzo seiner Heimatstadt Corneto richtet Ihr ihm eine großartige Bibliothek mit Hunderten von kostbaren Büchern ein. Er ist einer Eurer besten Kunden.
Durch den Mord an Luca und an Euch, Alessandra, kann Vitelleschi nichts gewinnen, aber alles verlieren. Denn die Colonna würden furchtbare Blutrache an ihm nehmen. Zudem steht Ihr unter Cosimos Schutz - er wird es nicht wagen, sich mit ihm anzulegen.
Nein, ich glaube nicht, dass Vitelleschi die Morde befohlen hat. Obwohl Lucas Erscheinen in Ferrara ihn zu irritieren schien, war er bestürzt, als ich ihm erzählte, dass Ihr in Alexandria nur mit knapper Not ein Attentat überlebt hattet. Ich deutete an, dass ich an seinen Amtskollegen, den orthodoxen Patriarchen von Alexandria geschrieben hatte, doch das schien ihn nicht zu beunruhigen.«
»Ihr habt an Philotheos geschrieben?«, fragte ich erstaunt.
Er hob das antike Markus-Evangelium, schob seinen Rosenkranz zur Seite und suchte zwischen den Dokumenten auf seinem Schreibtisch nach einem Pergament, das er mir schließlich reichte.
Es war eine Abschrift seines Briefes an Seine Seligkeit, Papst Philotheos, den orthodoxen Patriarchen von Alexandria. Ich überflog das Schreiben. Eugenius hatte Philotheos aufgefordert, auf die muslimischen Behörden in Ägypten einzuwirken, mich nicht zum Tode zu verurteilen. Als Römer stünden sowohl der Täter als auch das Opfer unter seiner Gerichtsbarkeit. Mir sei zudem bereits die Absolution erteilt worden, da es sich um Notwehr gehandelt habe. Zudem bat der Papst den orthodoxen Patriarchen, den Namen des Mannes zu benennen, der den Assassino geschickt und ihn um Unterstützung ersucht hatte.
»Ihr habt getan, was Ihr tun konntet, Euer Heiligkeit. Ich bin Euch sehr dankbar.« Ich gab ihm die Abschrift zurück.
»Nicht der Rede wert«, winkte er ab. »Die Kirche steht tief in Eurer Schuld. Ihr habt ein neues Evangelium gefunden und dabei Euer Leben riskiert! In Ferrara hat mir Euer Vater die gnostischen Logien ge...«
Fra Domenico öffnete die Tür. »Euer Heiligkeit! Der Abt von Montecassino, Frater Piero Tomacelli.«
»Er soll hereinkommen!«, befahl der Papst.
Der Benediktiner trat ein, kniete einen Schritt hinter der Tür nieder und erhob sich erst, als Eugenius ihn ungeduldig heranwinkte. Auf dem Weg zum Schreibtisch wiederholte er seinen Kniefall, um dann, wiederum kniend, den Fischerring an der Hand des Papstes zu küssen. »Laudetur Jesus Christus.«
»In aeternum. Amen«, erwiderte der Papst. »Erhebt Euch!«
Der Abt warf mir einen neugierigen Blick zu, stand steifbeinig auf und trat mit ehrfurchtsvoll gefalteten Händen einen Schritt zurück.
Piero Tomacelli, seit nunmehr fünfundzwanzig Jahren Abt von Montecassino und im Konvent als herrschsüchtiger Tyrann verhasst, mochte um die sechzig sein. Sein schütteres und etwas zerzaustes graues Haar umrahmte wie eine wirre Dornenkrone die Tonsur an seinem Hinterkopf. Sein verkniffenes Gesicht mit den schmalen Lippen gemahnte stets an die Leiden Christi am Kreuz. In all den Jahren hatte ich Piero Tomacelli niemals lächeln sehen. Jesus Christus habe nie gelacht, hatte er mich während eines Abendessens im Refektorium von Montecassino gescholten, als ich meinem Cousin Marco Colonna während der Tischlesung aus dem Evangelium den neuesten Tratsch aus Florenz und Rom zuflüsterte.
»Gewiss habt Ihr von Lucas tragischem Tod gehört.« Als Fra Piero nickte, fuhr der Papst fort: »Und Ihr kennt seine Tochter.«
»Ja, Heiliger Vater. Vor einigen Monaten war sie in Montecassino, um in unserer Biblio...«
»Ich weiß. Sie war ja in meinem Auftrag dort. Alessandra wird Euch nun einige Fragen stellen.« Eugenius wandte sich an mich: »Das habt Ihr ja bei Eurem Vater, dem Inquisitor, gelernt.«
Unruhig trat der Abt von Montecassino von einem Fuß auf den anderen und starrte zu
Weitere Kostenlose Bücher