Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
verscheuchte ich den maunzenden Monsignor Fantín von der mitgebrachten Truhe, hob den Deckel und holte ein verschnürtes Bündel heraus, das ich dem Papst überreichte. »Heiliger Vater, dies ist eines der antiken Pergamente, die ich in der Kammer gefunden habe.«
Neugierig faltete er den Brokatstoff auseinander und hob den in Leder gebundenen Codex heraus. Einige Papyrusfasern rieselten zwischen den Pergamentseiten heraus - die Reste einer älteren Papyrusrolle hatten in demselben Tonkrug gelegen, in dem Tayeb und ich den Codex gefunden hatten. Behutsam schlug er das Buch auf, um staunend die ersten Zeilen zu lesen. »Das griechische Markus-Evangelium!«
»Er stammt aus dem dritten oder vierten Jahrhundert.«
»Wie überaus kostbar!«
»Es wäre mir eine große Ehre, wenn Ihr dieses Evangelium als Geschenk annehmt, Euer Heiligkeit. Und ich würde mich noch mehr freuen, wenn es eines Tages einen würdigen Platz im Palazzo Apostolico im Vatikan findet.«
Überrascht blickte er auf. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin überwältigt von Eurer Großzügigkeit. Dieses Evangelium ist sehr wertvoll. Ich stehe tief in Eurer Schuld!«
Mit beiden Händen legte er den Pergamentcodex vor sich auf den Tisch und schloss vorsichtig den ledernen Buchdeckel, während ich ihm von den dramatischen Ereignissen nach der Entdeckung der antiken Schriften erzählte: von dem Überfall des Assassinos und meiner Flucht auf der venezianischen Galeere über Athen nach Venedig und weiter nach Ferrara.
»Am Abend meiner Ankunft speiste ich mit dem Metropoliten von Nikaia«, berichtete ich. »Von ihm erfuhr ich, dass mein Vater überraschend nach Ferrara gekommen war und am Tag zuvor von Eurer Heiligkeit empfangen worden war. Es hieß, er sei erst wenige Stunden zuvor nach Florenz zurückgekehrt. Im Morgengrauen bin ich aufgebrochen, um meinen Vater vor einem Mordanschlag zu warnen. Doch ich kam zu spät. Luca war bereits tot.«
Er atmete tief durch. »Was ist geschehen?«
»Der Mörder ist durch das offene Fenster in Lucas Arbeitszimmer eingedrungen und hat meinen Vater nach heftigem Kampf erstochen. Der Raum ist nicht durchsucht worden. Der Assassino war also nicht auf der Suche nach den Fragmenten, denn die Papyri sind unversehrt.«
»Dann ist Euer Vater nicht wegen des Evangeliums ermordet worden?« Eugenius war verwirrt. Offenbar hatte er das angenommen. »Mein Sekretär berichtete mir vorhin, dass sich Cosimo persönlich um die Aufklärung des Mordes kümmert und gestern seine Ermittler nach Ferrara geschickt hat.«
»Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass sie dort den Mörder meines Vaters finden. Die Spuren vor dem Fenster seines Arbeitszimmers deuten darauf hin, dass der Täter Sandalen und einen Habit aus weißer Wolle trug.«
Eugenius hob die Augenbrauen. »Ein Mönch?«
»Ein Dominikaner.«
Ich berichtete dem bestürzten Papst über den Frater, der vor wenigen Stunden meinen Palazzo beobachtet hatte. »Der Mönch muss aus Santa Maria Novella kommen.«
»Heilige Mutter Gottes!«, stöhnte der Papst. »Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um Euch bei der Aufklärung des Mordes zu helfen.«
»Heiliger Vater, Ihr würdet mir einen großen Gefallen erweisen, wenn Ihr den Abt von Montecassino zu Euch bittet. Meines Wissens befindet er sich in Santa Maria Novella. Ich würde ihn gern zu einem rätselhaften Benediktiner befragen, der sich einige Zeit in Montecassino aufgehalten hat.
Cosimo erzählte mir gestern, dass Frater Caedmon of Canterbury vor einigen Tagen den Metropoliten von Athen durch Florenz verfolgt hat. Auf Wunsch Seiner Seligkeit hat sich Cosimo über diesen Benediktiner erkundigt: Seit letztem September wohnt er in San Miniato. Gestern traf ich Bruder Caedmon, als er vor meinem Haus für Luca betete. Er bat mich, ihn in den nächsten Tagen zu empfangen. Ich hoffe, dass der Abt von Montecassino mir mehr über ihn sagen kann.«
»Verdächtigt Ihr ihn des Mordes?«
»Nein, ich will nur jeder Spur nachgehen. Denn ich finde es äußerst befremdlich, dass Frater Caedmon den Metropoliten von Athen durch ganz Florenz verfolgte, nachdem er den Palazzo d’Ascoli verlassen hatte. Seine Seligkeit ist der Bruder des Kaisers, einer der höchsten Würdenträger der orthodoxen Kirche und somit eine der Schlüsselfiguren des Unionskonzils.«
Wortlos ergriff der Papst die silberne Glocke auf seinem Schreibtisch und klingelte. Kurz darauf trat Fra Domenico ein.
»Heiliger Vater?«
»Der Abt von Montecassino
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