Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Truhe.
»Dies ist das griechische Neue Testament. Die Stellen in den Evangelien von Markus, Lukas und Johannes, die sich auf diese sechs gnostischen Logien beziehen, habe ich mit Pergamentstreifen markiert.«
Mit einem unergründlichen Lächeln blickte der Papst auf den sich gefährlich neigenden Turm von dicken Folianten. »Also gut! Ich werde die Bücher heute Nacht studieren und sie Euch morgen zurückgeben.«
»Danke, Euer Heiligkeit.«
»Ich habe Euch zu danken. Kann ich noch etwas für Euch tun?«
»Ja, Heiliger Vater, das könnt Ihr. Doch nicht für mich, sondern für Luca. In aller Demut bitte ich Euch, seine Exkommunikation aufzuheben und ihm ein christliches Begräbnis in San Marco zu ermöglichen.«
Wortlos erhob er sich und ging zum Fenster, um zum Chiostro Grande hinabzusehen. Die mit Eisblumen bedeckten Glasscheiben beschlugen unter seinem Atemhauch.
»Mein Vater ist keines Vergehens schuldig, das gemäß dem Kanon des Kirchenrechts mit dem Bann bestraft werden muss. Er war kein Häretiker, sondern hat zeit seines Lebens am christlichen Glauben festgehalten. Obwohl er das Priesteramt aufgegeben hatte und nicht mehr Dominikaner war, hat er seine Gelübde immer gehalten und ein gottesfürchtiges Leben geführt. Er war kein Schismatiker im Gegenteil: In Konstanz hat er maßgeblich dazu beigetragen, das Schisma mit drei Gegenpäpsten zu beenden.« Ich holte tief Luft und fuhr fort:
»Trotz der Verachtung und des Hasses zwischen euch - bitte verzeiht, wenn ich das so offen ausspreche! - war Luca Euch immer treu ergeben, denn Ihr seid durch das Konklave rechtmäßig gewählter Pontifex. Ihr habt ihn gefürchtet, weil er sich eines Tages gegen Euch wenden könnte, wie es die Colonna getan haben. Luca war ja ein Vertrauter von Papst Martin. Ihr hattet Angst vor seinem moralischen Urteil über Eure Amtsführung, da Ihr es, im Gegensatz zu Luca als Stellvertreter des Papstes in Rom, nicht geschafft habt, in der Ewigen Stadt für Frieden zu sorgen, ohne Blut zu vergießen. Mit dem Kirchenbann wolltet Ihr sein Ansehen mit Füßen treten und ihn zum Schweigen bringen!
Aber das ist Euch nicht gelungen, Euer Heiligkeit. Luca hat nicht geschwiegen! Er hat die Schismatiker in Basel aufgefordert, ihren Wahn vom Supremat des Konzils über den Papst aufzugeben und sich Euch zu unterwerfen - was der ehemalige Vorsitzende des Konzils, Kardinal Cesarini, ja auch getan hat. Luca hat seine großartige Vision von der Beendigung des griechisch-römischen Schismas, die er schon während des Konzils von Konstanz verkündete, niemals aufgegeben. Sein ganzes Leben hat mein Vater der Kirche gewidmet.«
»Tu es sacerdos in aeternum - du bist Priester in alle Ewigkeit«, murmelte der Papst und fasste an sein hölzernes Brustkreuz. War er zornig über meine harten Worte? Nachdenklich wandte er sich zu mir um. »Er hat Euch damit sehr wehgetan.«
»Ich weiß nicht, wer von uns beiden mehr gelitten hat«, bekannte ich. »Ich bin schuld, dass er alles aufgegeben hat. Ihr hättet sein Gesicht sehen sollen, als meine Mutter ihm nach seiner Rückkehr von Konstanz nach Rom gestand, dass er eine kleine Tochter hat. Mein Vater war kurz zuvor als päpstlicher Legat nach Rom gekommen, um Papst Martins Rückkehr in die Stadt vorzubereiten, und residierte im Dominikanerkloster Santa Maria sopra Minerva. Als Luca mich sah, wandte er sich ab und weinte. Nie werde ich vergessen, wie sehr ihn mein Anblick quälte, wie sehr ihn meine Existenz, das Eingeständnis seiner Schwäche, schmerzte. Mehr als die Geißelwunden, mit denen er sich selbst züchtigte.«
»Aber am Ende hat er sich zu Euch bekannt«, erinnerte mich der Papst mit sanfter Stimme. »Er hat Euch aus dem Kerker der Inquisition befreit und ist mit Euch nach Florenz geflohen.«
»Hatte er denn eine Wahl? Der ganze Prozess gegen seine Geliebte war eine Verschwörung, die Lucas Feinde im Kardinalskollegium in Florenz angezettelt hatten, um ihn zu entmachten und seinen Namen in den Schmutz zu treten.«
Ich holte tief Luft.
»Eines Tages werden Adriana Colonna und ihre dreijährige Tochter mit Gewalt vom Palazzo Colonna in den Kerker von Santa Maria sopra Minerva geschleppt. Der jungen Frau wird vorgeworfen, sie habe mit Satan ein Kind gezeugt. Das zu Tode erschrockene Kind wird in eine düstere Zelle gesperrt. Es wird als ›Lucifers Tochter‹ verhöhnt und gequält. Es wird allein gelassen, nackt, frierend und gedemütigt. Tagelang. Wochenlang.
Adriana, die ›Satanshure‹,
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