Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
gebracht wurde.«
Tayeb zeigte mir die Bulle mit dem päpstlichen Siegel. Ich entrollte das Pergament, durch das der Bann gegen Luca aufgehoben wurde. Für Alessandras Gefährten schien es wichtig zu sein, dass Scarampo das Dokument mit eigenen Händen geschrieben hatte. Aber warum? Ich ahnte, dass dies mit den dramatischen Ereignissen in Alexandria zu tun hatte - mit der Entdeckung des Evangeliums und Lucas Ermordung.
»Gewiss war sie sehr glücklich darüber!«, meinte ich, als ich ihm die Bulle zurückgab.
Tayeb schüttelte traurig den Kopf. »Sie hat geweint, als ich sie die Treppen hochtrug und ins Bett brachte. Der Sieg über den Papst ist für sie kein Triumph, sondern eine Niederlage - die schmerzlichste ihres Lebens.«
»Aber wieso?«, fragte ich bestürzt.
»Sie hat das größte aller Opfer gebracht: Heute Nacht hat sie ihren Vater geopfert. Ihr ganzes Leben lang hat sie um seine Liebe gekämpft. Heute Nacht hat sie ihren Kampf beendet und Luca der Kirche zurückgegeben. Sie hat auf ihren Vater verzichtet: Luca wird in San Marco im Dominikanerhabit beigesetzt - als wate er noch immer Mönch und Priester. Das ist unendlich schwer für sie. Hört Ihr die ›San Luca!‹-Rufe auf der Piazza?«
Ich nickte.
»Diese Ausrufe sind für sie kein glanzvoller Triumph über den Willen des Papstes, der Luca exkommuniziert hatte, sondern der Verlust ihrer Hoffnungen und ihrer Sehnsucht nach Geborgenheit in den Atmen eines Vaters, der ihr nicht nur seine Achtung und seinen Respekt, sondern auch seine Liebe schenkt. Für Lucas Seelenheil hat sie all das aufgegeben. Nun schläft sie und kann die lauten Forderungen der Menge nach Lucas sofortiger Heiligsprechung nicht hören. Und darüber bin ich sehr froh! Es würde sie noch mehr demütigen.«
Wie gern hätte ich sie in den Arm genommen, um sie zu trösten! Ihr Kuss in jener Nacht hatte in meinem erfrorenen Herzen einen Schwelbrand der Gefühle entfacht und mich zum Leben erweckt. Wie ich mich nach ihr sehnte!
»Gestern Nachmittag hatte sie versprochen, mir das Evangelium zu zeigen«, erklärte ich. »Ich wünschte, ich könnte heute Abend wiederkommen, wenn sie erwacht ist. Doch ich habe eine Einladung zum Abendessen bei Seiner Heiligkeit. Würdet Ihr Alessandra bitte ausrichten, dass ich hier war?«
»Das werde ich«, versprach Tayeb und fügte lächelnd hinzu: »Darüber wird sie sich sehr freuen.«
»Allah schütze Euch!«, verabschiedete ich mich.
»Die Hand des Allmächtigen möge auch Euch behüten!«
Ich fand Fra Serafino im Hof des Palastes, wo er, einen Becher dampfenden Glühwein schlürfend, mit seinen Freunden Alexios und Tito schwatzte. Sie alle waren glücklich über Lucas Versöhnung mit dem Papst.
Nach Sonnenuntergang erschien eine Eskorte in San Marco und brachte mich zur Residenz des Papstes. Auf meinen Wunsch begleitete mich Fra Serafino, mit dem ich den Nachmittag verbracht hatte. Stundenlang hatte er mir von Luca erzählt, während ich mir Notizen für die Totenrede machte, die ich am nächsten Tag halten sollte.
Der päpstliche Sekretär empfing mich mit Kniefall und Handkuss im von Fackeln erleuchteten Chiostro Grande. »Seine Heiligkeit erwartet Eure Seligkeit! Ich soll Euch mitteilen, wie sehr er sich geehrt fühlt, weil Ihr trotz Eurer Klausur in San Marco seine Einladung zum Abendessen angenommen habt. Et möchte heute Abend völlig auf das Zeremoniell verzichten. Wie Ihr trägt er seinen Mönchshabit. Er hält sich an Eure Bedingungen für dieses inoffizielle Treffen.«
»Meine Bedingungen?«
»Als Kardinal Cesarini Euch zu diesem vertraulichen Gespräch einlud, batet Ihr ihn, Seiner Heiligkeit auszurichten, dass Ihr kommen wolltet. Unter einer Bedingung: Wenn Ihr ihm Eure Meinung zum Primat des Papstes über die orthodoxen Patriarchate darlegt, tut Ihr das nicht offiziell als Delegierter der orthodoxen Kirche beim Unionskonzil, als Vertreter Seiner Allheiligkeit des Patriarchen oder als Berater Seiner Majestät des Kaisers. Über Eure persönlichen Ansichten könne er jedoch ganz nach Belieben mit Euch diskutieren.« Fra Domenico lächelte gewinnend. »Genau das will er tun, als Primus inter Pares - als Erster unter Ranggleichen. Daher das Treffen im Mönchshabit.« Er wies auf mein Ordensgewand.
Dann führte er mich in die Privatgemächer Seiner Heiligkeit. Nachdem er die Tür geöffnet hatte, kündigte er mich an: »Seine Seligkeit, Niketas IV. Evangelos, Metropolit und Erzbischof von Athen, Exarchos von Griechenland,
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