Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Annunziata folgten, entsann ich mich des Gesprächs mit Cesarini im verschneiten Wäldchen abseits der Straße nach Florenz. Neugierig hatte er die Satteltaschen des Maultiers mit den antiken Pergamentcodices und dem Evangelium betrachtet. An jenem Tag hatte ich seine Frage, ob ich einen spektakulären Fund gemacht hätte, nicht beantwortet. Ich hoffte, die Freude über mein Geschenk würde ihn so ablenken, dass er mir keine weiteren Fragen stellte.
Wenig später erreichten wir die Residenz des Kardinals. Die Fackeln an der Fassade waren noch nicht entzündet. Der Palazzo lag in tiefer Dunkelheit. Das Portal war geschlossen.
Eine furchtbare Ahnung überfiel mich. Ich sprang vom Pferd und trommelte gegen das Portal. »Öffnet das Tor!«
Wenige Augenblicke später wurde ein Torflügel aufgeschoben, und ein Bewaffneter mit Helm, Harnisch und gespannter Armbrust trat mir entgegen. Im Fackelschein des Hofes erkannte ich eine Schar kampfbereiter Männer.
Tito brachte die Pferde in den Stall, während ich zum Sekretär des Kardinals geführt wurde. Der Palast war in heller Aufregung. Bedienstete eilten mit gesenktem Blick durch die Gänge, und vor den Gemächern Seiner Eminenz standen Wachen mit gezückten Schwertern.
Der Secretarius, ein hagerer Mönch im schwarzen Habit der Serviten, empfing mich im Studierzimmer. »Seine Eminenz fühlt sich nicht wohl. Leider blieb keine Zeit, Euch zu verständigen. Ich bitte um Verzeihung! Ich werde Seine Eminenz fragen, ob er Euch trotz seiner ... ähm ... Unpässlichkeit empfangen will.«
Damit öffnete er die Tür zu Cesarinis Schlafzimmer und trat ein. »Euer Eminenz, Alessandra d'Ascoli ist gekommen. Wollt Ihr sie ...«
»Wir speisen in meinem Schlafzimmer.«
»Wie Ihr wünscht, Euer Eminenz. Soll ich Euch noch etwas von dem Schmerzmittel geben, das der Medicus ...«
»Nein danke, Fra Girolamo«, unterbrach ihn der Kardinal. »Würdet Ihr nun Alessandra zu mir führen?«
Der Servite bat mich einzutreten und schloss die Tür.
Das Schlafgemach, kaum größer als eine Klosterzelle, war schlicht eingerichtet. Ein Bett, ein Tisch, ein Faltstuhl, ein Stapel Bücher und ein hölzerner Crucifixus an der Wand gegenüber. Es war eisig kalt im Raum.
In einen Berg von Kissen gelehnt, saß Cesarini aufrecht in seinem Bett. Er trug ein Nachtgewand, das den Wundverband an seiner rechten Schulter zum größten Teil verdeckte.
Ich wollte auf die Knie sinken, um seine Hand zu küssen, doch er winkte ab. »Bitte nicht, Alessandra! Setzt Euch zu mir!« Mit der Hand klopfte er auf den Rand des Bettes.
»Was ist geschehen?«, fragte ich, während ich mich neben ihm niederließ und das Geschenk auf die Bettdecke legte. »Ein Attentat?«
Er verzog die Lippen und nickte. »Vor einer Stunde bin ich von einem jungen Mann angegriffen worden. Er sei Römer und wolle in Florenz studieren, hat er mir erzählt. Dann bat er mich um einige Fiorini, weil er zu arm sei, sich die Bücher für sein Studium zu kaufen. Der junge Mann gefiel mir, daher gab ich ihm eine Handvoll Goldmünzen ...«
Obwohl Cesarini einer alten römischen Patrizierfamilie entstammte, war er in bitterer Armut aufgewachsen. Sein Studium in Perugia, Bologna und Padua hatte er mit geliehenen Büchern absolviert. Seit er Professor in Padua gewesen war, Bischof und Kardinal, unterstützte er sehr großzügig bedürftige Studenten. Manchmal so freigiebig, dass er damit seinen Sekretär Fra Girolamo, der die Finanzen und den Haushalt Seiner Eminenz verwaltete, zur Verzweiflung trieb.
»... und als ich ihm die Fiorini in die offene Hand gezählt hatte, verneigte er sich und küsste meinen Ring. Doch dann zog er seinen Dolch und verletzte mich an der Schulter, bevor meine Leibwachen eingreifen konnten. Er ist tot.«
»Wer, glaubt Ihr, hat ihn geschickt?«, fragte ich bestürzt.
»Wer, glaubt Ihr, hat Euren Vater ermordet und das Attentat auf Euren Cousin, Kardinal Colonna, befohlen?«
Ich barg mein Gesicht in den Händen und dachte an den Dominikaner, der letzte Nacht mein Arbeitszimmer durchwühlt hatte. Er hatte nicht versucht, mich zu ermorden. Wieso nicht?
Dann sah ich auf. »Was nun?«
Bevor er antworten konnte, betrat Fra Girolamo das Schlafzimmer. »Euer Eminenz, bitte verzeiht die Störung! Da ist jemand, der dringend mit Alessandra d'Ascoli sprechen will.«
»Wer ist es?«, fragte ich.
»Signor Tayeb - Seine Heiligkeit wünscht Euch zu sehen.«
»Wann?«
»Sofort.«
»Bitte richtet Signor Tayeb aus, er möge im Hof
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