Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Sand. Sie kamen näher.
Ich hielt die Luft an.
Jemand kniete vor dem Mauerloch und spähte in die Kammer. Ich konnte seinen Atem hören.
Ich hob den Dolch, bereit zum Stoß. »Alessandra?« Das war Tayebs Stimme! Erleichtert seufzte ich auf. »Ja, ich bin hier.«
Er kroch in die Genisa, erhob sich schwankend und umarmte mich. »Bist du verletzt?«
»Es geht mir gut.«
»Der Mann, der dich verfolgt hat ...«
«... ist tot.« In kurzen Worten schilderte ich die Ereignisse der letzten Stunde. »Und du? Du bist so bleich.«
»Einer der Männer hat mich verwundet.« Tayeb, den Arm immer noch um meine Schultern geschlungen, wies auf seine rechte Seite. Erst jetzt bemerkte ich das Blut.
Ich half ihm beim Hinsetzen. »Würdest du bitte dein Gewand ablegen?«
Sein schlanker Körper war fest und dunkel wie Bronze, die Schultern waren muskulös. An Tayebs Hals schimmerte an einem schmalen Lederband das silberne Tenerelt-Kreuz aus Agadez, das die Florentiner für ein christliches Symbol hielten.
Ich kniete mich neben ihn und untersuchte die Wunde. »Ein tiefer Schnitt unterhalb der Rippen, der stark geblutet hat. Er muss genäht werden.« Ich griff nach Tayebs Wasserflasche. »Was ist geschehen?«
Während ich die Wunde reinigte, erzählte er von seinem Kampf mit den drei Bewaffneten. Zwei hatte er im Schwertkampf getötet.
»Und der dritte?«
»Er dürfte mittlerweile den Palast des Patriarchen erreicht haben.«
»Wir müssen so schnell wie möglich verschwinden.« Mein Blick fiel auf die Tonkrüge mit den antiken Schriften und auf die Papyrusfragmente des Evangeliums. »Der Patriarch wird Bewaffnete schicken, die uns festnehmen und die Tonkrüge in seinen Palast bringen. Wir müssen uns beeilen! Wir nehmen nur die Papyrusrollen und Pergamentcodices mit.«
Tayeb hockte sich neben mich und wies auf den blutigen Brief.
»Was ist das?«
»Ein Schreiben, das der Römer bei sich trug. Steck es ein! Ich erkläre es dir später.«
Tayeb half mir, die sieben noch versiegelten Amphoren aufzubrechen und die antiken Schätze in unserer Tasche zu verstauen. Schließlich lagen nur noch die Papyrusfragmente des neuen Evangeliums im Sand. Sie waren so zerbrechlich, dass sie zu Staub zerfallen würden, wenn wir sie mit den Codices in die Tasche legten. Ich starrte auf die zerfaserten Schnipsel in meiner Hand - der Rest des Evangeliums lag unter der eingestürzten Wand begraben. Doch uns blieb keine Zeit mehr, es zu retten.
Tayeb ergriff das Amulett mit den Koranversen, das an seinem Turban befestigt war, und öffnete die silberne Kapsel. Er zog die gefalteten Pergamentstreifen mit den Koranversen heraus und legte sie in einen der geleerten Tonkrüge. Dann nahm er mir die Papyrusfragmente aus der Hand und schob sie in das Amulett. Nachdem er es wieder verschlossen hatte, gab er es mir.
»Shukran!«, bedankte ich mich. Ich wusste, was ihm seine Koranverse bedeutet hatten und welches Opfer er brachte.
»Afwan!«, winkte er ab. »Schon gut!«
Ich sprang auf und half ihm aufzustehen. »Y'allah - komm jetzt! Wir müssen zum Boot!«
Kapitel 4
Nachdem Natanael die Kirche verlassen hatte, traten Basilios und ich hinaus in die eisige Winternacht. Schnee, der im Licht der Fackeln an den Hausfassaden wie feiner Sternenstaub glitzerte, rieselte herab und blieb an unseren schwarzen Habites hängen, während wir die verschneite Straße in Richtung der Kathedrale entlanggingen.
»Du wirst morgen ins Dominikanerkloster zurückkehren, nicht wahr?« Basilios hatte sich bei mir untergehakt.
»Morgen Abend wird Cosimo mit uns speisen. Er will mit mir über das Konzil reden - so wie Ioannis. Anschließend gehe ich wieder in Klausur. Ich muss mich besinnen, ob ich noch Priester sein kann. Ich wäre sehr glücklich, wenn ich den Rest meines Lebens im Kloster verbringen dürfte, um dort mein Buch über Paulus zu vollenden.«
Basilios legte mir die Hand auf den Arm. Wir schwiegen, bis wir die Kathedrale erreicht hatten, die Piazza überquerten und am Palazzo des Marchese Niccolò d'Este nach rechts abbogen, um zum Castello Estense zu gelangen, der viertürmigen Stadtfestung, die inmitten eines zugefrorenen Wehrgrabens in den Himmel emporragte. Eine Statue des Marchese mit einer Mütze aus frisch gefallenen Schneeflocken bewachte das Portal des Castellos, wo während des Konzils der byzantinische Kaiser residierte.
»Wie wird der Kaiser auf deine Entscheidung reagieren?«, fragte Basilios in das vertraute Schweigen hinein. »Du warst ihm
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