Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Verfasser ein Mitglied der florentinischen Kurie?
Tayeb steuerte das Boot um die Landzunge herum und warf einen letzten Blick zurück zum Ufer. »Sie haben uns gesehen!«
Ich drehte mich um.
Mehrere Männer standen an der Stelle, wo unser Boot einen Abdruck im Sand hinterlassen hatte. Einer von ihnen wandte sich um, eilte den Abhang der Düne hinauf und verschwand. Wenig später sah ich zwischen den Ruinen einen Reiter zum Stadttor galoppieren.
»Wir haben nicht mehr viel Zeit«, keuchte Tayeb, als er das Boot um die Spitze der Landzunge herum in den Hafen ruderte. Hinter ihm lag die weite, halbmondförmige Stadt, noch ganz in nächtliche Schatten gehüllt. Die ersten Sonnenstrahlen entflammten die Minarette der Moscheen - wenn in wenigen Minuten die Sonne aufging, würde der Himmel über Alexandria lichterloh brennen.
»Halten wir an unserem Plan fest?«
Ich nickte. »Ich hole unsere Sachen aus dem Funduk. Die Codices, die wir bisher gefunden haben, will ich nicht zurücklassen. Doch zuerst bringe ich dich zu einem Arzt, der deine Wunde versorgt. Du blutest.« Ich wies auf seine Seite. »Lass mich das letzte Stück zum Kai rudern, Tayeb. Du bist völlig erschöpft.«
»Setz dich wieder hin, das Boot kippt sonst um. Nein, Alessandra, widersprich mir nicht! Trotz der Verletzung kann ich schneller rudern als du!«
Also setzte ich mich wieder und starrte auf den Brief in meiner Hand. Wann war er geschrieben worden? Seit wie vielen Wochen wurde ich überwacht?
Und ein noch furchtbarerer Gedanke quälte mich:
War auch Lucas Leben in Gefahr?
Von außen glich der Funduk, das Warenlager der italienischen Kaufleute, einer uneinnehmbaren Festung. Der Innenhof und die bequem ausgestatteten Wohnräume in der oberen Arkadengalerie schienen jedoch zu einem florentinischen oder venezianischen Palazzo zu gehören.
Eine sehr kluge Geschäftsidee, hatte ich bei unserer Ankunft vor zwei Wochen gedacht. Fühl dich wie zu Hause, Fremder, und mach gute Geschäfte wie in Venedig oder Florenz! Und gib deine Fiorini für die Annehmlichkeiten des Funduks aus: einen Besuch im Hamam, eine entspannende Massage, köstliche Speisen, guten Wein, willige, junge Sklavinnen aus aller Herren Länder und selbstverständlich Diskretion. Und natürlich für die Sicherheit deines Besitzes und der Waren, die du kaufst oder verkaufst und die sich in den Lagerräumen im Erdgeschoss stapeln.
Der Mameluckensultan überließ den ägyptischen Handel mit Europa fast ausschließlich den Byzantinern und Italienern. Während ihres oft wochenlangen Aufenthaltes in Alexandria residierten die Kaufleute aus Venedig, Pisa und Florenz in diesem Funduk im Souk der Apotheker und Gewürzhändler.
Die schmale, am frühen Morgen noch schattige Gasse war erfüllt vom Geschrei der Händler und den betörenden Gerüchen nach Weihrauch, Pfeffer, Ingwer und Zimt.
Ein Wasserverkäufer rempelte mich an, verschüttete aus Versehen eine Schale mit kühlem Wasser über mein Gewand und drängte mich grob zur Seite, um einem mit zwei schweren Säcken beladenen Lastesel Platz zu machen. Ich folgte ihm die Gasse hinunter und schob mich durch den Souk der Gewürzhändler, deren Tische sich unter Körben mit leuchtend gelbem Safran, rotem Pfeffer und frischer Minze bogen. Neben den Tischen standen große Leinensäcke mit Myrrhe, Aloe und anderen Heilpflanzen.
Am Laden eines Farbenhändlers blieb ich stehen und betrachtete die Auslagen: Papier, Pergament, Tintensteine, Schreibfedern und Säcke mit gemahlenen Farbpigmenten.
Langsam ließ ich den seidigen Farbstaub durch meine Finger rinnen, als prüfe ich die Qualität des Lapislazuli, und blickte dabei verstohlen hinüber zum Fondaco. Das Portal stand offen und wurde nicht bewacht.
Hatten die Häscher des Patriarchen unsere Spur noch nicht bis zum Funduk zurückverfolgt? Oder warteten sie bereits in unseren Räumen auf uns?
Der Händler, ein weißhaariger Alter mit hagerem Gesicht, war auf mich aufmerksam geworden. Geschwind sprang er von seinem Hocker auf und fuchtelte mit den Armen, um mich von seinen kostbaren Farben wegzuscheuchen. Als ich nicht sofort den Rückzug antrat, schrie er: »Verschwinde!«
Glaubte er, ich wolle ihm seine Farben stehlen? Mit seinem Geschrei erregte er die Aufmerksamkeit der anderen Händler, die neugierig zu uns herübersahen.
Ich trat zu dem aufgeregt gestikulierenden Ladenbesitzer, wandte dem Portal des Fondacos den Rücken zu und zog den Schleier vom Gesicht. »As-salamu alekum, Samir«,
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