Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
die christlichen Gelehrten jemals von Timbuktu gehört hatten, hielten sie es für einen Mythos.
Wie viele der verloren geglaubten Bücher der Bibliothek von Alexandria waren auf jahrhundertelangen Umwegen durch die sengende Wüste in Timbuktu vom Kamel geladen worden? Wie viele Werke umfasste die großartige Bibliothek in der Wüste? Tayeb wusste von über dreihunderttausend Schriften.
Seit Luca zwei Jahre zuvor von seiner gescheiterten Expedition nach Florenz zurückgekehrt war und Tayeb in unserem Haus lebte, hatte ich mich auf die Reise nach Timbuktu vorbereitet. Ich hatte Arabisch gelernt und den Koran gelesen, denn Timbuktu konnte ich nur als Muslima betreten. Und ich hatte mich körperlich vorbereitet, um die anstrengende Reise ins Herz der Wüste zu überleben: Tagelang hatte ich auf Wasser, Nahrung und Schlaf verzichtet, stundenlang war ich mit Tayeb in der Sommerhitze durch die Hügellandschaft des Mugello nördlich von Florenz gewandert, während ich mit ihm über die Sprüche des Propheten Mohammed disputierte. Er hatte mich auch den Umgang mit dem Schwert gelehrt und mir beigebracht, wie man sich zum Schutz vor Feinden im Sand vergrub. Vorige Nacht war ich ihm dafür sehr dankbar gewesen ...
Obwohl Tayeb nun in Florenz lebte, hatte er seinen großen Traum, eines Tages nach Timbuktu zurückzukehren und als Professor an der Sankoré zu unterrichten, niemals aufgegeben. Wenn Tayeb im nächsten Herbst aufbrach, würde ich mit ihm gehen - verkleidet als seine muslimische Sklavin. Ein Jahr lang wollte ich arabische Bücher kopieren, bis mir die Finger bluteten. Anschließend würde ich mit den Abschriften übet Fes und Tétuan nach Florenz zurückkehren ...
In meine Träume versunken, schleppte ich die schweren Bündel mit den Vorräten und die Ziegenschläuche mit Wasser, bis Tayeb nach etlichen Meilen auf eine geschützte Senke wies: »Dort werden wir lagern! Ein kleines Feuer zwischen diesen Dünen ist von den Stadtmauern aus nicht zu sehen.«
Erschöpft nahm ich die Taschen von den Schultern und ließ mich in den Sand sinken. Als Tayeb das gesammelte Holz aufschichtete, half ich ihm beim Feuermachen. Es war sicherer, unsere Mahlzeit noch vor Sonnenuntergang zuzubereiten. Zudem waren wir sehr hungrig und wollten früh schlafen gehen, bevor es in der nächtlichen Wüste zu kalt wurde.
Nach dem Mahl legten wir uns neben der verglimmenden Glut des Feuers in den kühlen Sand, wickelten uns in unsere Gewänder und redeten uns in den Schlaf, während die Sonne hinter dem in Gold und Purpur aufflammenden Horizont verschwand. Wir fürchteten das Schweigen und den entsetzlichen Gedanken, den es barg:
Was war mit Luca?
Lautlos huschten wir im Schutz der Finsternis um die Sanddüne herum. Dann hielten wir inne und lauschten: Doch außer dem entfernten Rauschen des Meeres und dem Nachtwind im trockenen Gras war nichts zu hören.
Hatte Philotheos seine Häscher in die Synagoge geschickt, damit sie uns dort auflauerten?
Den ganzen Tag hatten wir uns ruhig verhalten und unser Lager zwischen den Sanddünen nicht verlassen. Tayeb hatte die Gegend beobachtet, jedoch keine Verfolger entdecken können. Trotzdem hatten wir auf ein Feuer verzichtet und unsere Mahlzeit kalt verspeist. Am Nachmittag hatten wir die Tasche mit den antiken Codices, unsere Vorräte und die Wasserschläuche vergraben und die Feuerstelle mit Sand zugeschüttet. Dann hatte jeder eine Stunde geschlafen, während der andere Wache hielt. Sobald die Sonne untergegangen war, hatten wir uns auf den Weg zurück zur versunkenen Synagoge gemacht.
Tayeb berührte mich am Arm. »Komm!«
Ich folgte ihm zum Portal, glitt den Abhang hinunter, tauchte in die Finsternis ein ...
... und prallte mit der Schulter gegen Tayeb, der plötzlich stehen geblieben war.
Einige Herzschläge lang verharrte er, dann huschten seine Finget über meine Schulter, den Arm entlang zu meiner Hand. Er ergriff sie und zog mich hinter sich her über die Flanke der Flugsanddüne, die durch das geborstene Gewölbe hereingeweht war.
Ich zog die Kerzen und mein Feuerzeug hervor, entzündete die Dochte und sah mich in der Ruine um. Etliche Fußspuren führten in den Gebetssaal. Die zuvor nur halb geöffnete Tür zur Genisa war zertrümmert. Die Kammer war ausgeräumt. Die Tonkrüge waren weggebracht worden. Trotz meiner Anspannung konnte ich ein Lachen nicht unterdrücken.
»Was ist?«, fragte Tayeb irritiert.
»Ich musste gerade daran denken, wie Philotheos in Erwartung eines
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