Der vergessene Papst: Historischer Roman (German Edition)
Annunziata, der Kirche des Florentiner Servitenordens. In den Monaten vor seiner Abreise nach Ferrara war er häufig bei uns zum Abendessen erschienen - Luca und er kannten sich seit vielen Jahren. Dass Eugenius meinen Vater exkommuniziert hatte, erschütterte ihn zutiefst: Er schätzte Luca wegen seines beherzten Auftretens in Konstanz zur Beendigung des Schismas.
»Ich bin sehr überrascht, Euch hier zu sehen, Alessandra!« begann Cesarini, als er sich zu mir umwandte. Weiße Atemwolken hüllten ihn ein. »Euer Vater erzählte mir, Ihr wärt in Alexandria.«
»Das war ich, Euer Eminenz.«
»Wart Ihr in Ferrara?«
»Ja.«
»Und Ihr wisst, dass Euer Vater mit dem Papst geredet hat?« Ich nickte stumm.
»Worüber haben die beiden nach all den Jahren des eisigen Schweigens gesprochen?«
»Ich hatte gehofft, dass Ihr mir das sagen könntet. Er war bei Euch, bevor Eugenius ihn zu sich bat.«
»Kein Wort hat er darüber verloren, dass er mit Seiner Heiligkeit reden wollte. Das habe ich erst erfahren, als er am Morgen nach der Audienz Ferrara wieder verlassen hatte.«
»Und worüber habt Ihr mit ihm gesprochen?«
»Ich habe ihn vor Giovanni Vitelleschi gewarnt, der überraschend von Rom nach Ferrara gekommen war.«
»Ich habe ihn im Tross gesehen«, nickte ich und wies über meine Schulter zur Straße hinüber. »Seine Heiligkeit legte ihm die Hand auf den Arm. Was haben die beiden zu besprechen?«
»Sobald die Kirchenunion geschlossen ist, will der Papst nach Rom zurückkehren. Eine vereinigte Kirche kann nur von der Caput Mundi aus regiert werden. Doch der Papst kann Rom nicht betreten, solange Eure Familie die Stadt beherrscht. Nach dem Mordanschlag der Colonna vor fünf Jahren ist er geflohen.
Vitelleschi erobert Rom für die Kirche zurück: Mit Exkommunikation, Folter und Mord erkämpft er sich den Weg zum Vatikan. Die Festungen Eurer Familie brennen. Ich fürchte um das Leben Eures Cousins. Habt Ihr eine Ahnung, wo sich Kardinal Colonna verborgen hält?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Wenn Vitelleschi ihn gefangen nimmt, wird er ihn hinrichten lassen wie Euren Großvater Marcantonio Colonna.« Cesarini holte tief Luft. »Und ich habe furchtbare Angst um Euren Vater.«
»Was ist geschehen?«
»Wie Ihr wisst, war ich bis vor einigen Monaten Vorsitzender des Konzils von Basel ...«
Der Colonna-Papst Martin hatte das Konzil von Basel wenige Wochen vor seinem Tod einberufen. Die Kirchenversammlung war 1431 im Basler Münster zusammengetreten. Martins Nachfolger Eugenius hatte seitdem mehrfach versucht, das Konzil aufzulösen, das sich anmaßte, über dem Papst zu stehen. Erfolglos.
Unter dem Vorsitz von Kardinal Cesarini, der dem tobenden Pontifex unbeirrbar widerstand, erarbeitete das Basler Konzil eine Kirchenreform, die die Macht des Papstes erheblich einschränkte. Die Konziliaristen riskierten damit ein erneutes Schisma der römischen Kirche, denn die Herrscher der Christenheit mussten sich entscheiden, wem sie Gehorsam schuldeten: dem Papst in Florenz oder dem Konzil in Basel.
Darüber hinaus verhandelte man ohne päpstliche Zustimmung mit dem byzantinischen Kaiser über die Vereinigung der lateinischen und der griechischen Kirche, lud Ioannis zu einem Konzil nach Avignon ein und schickte ihm Galeeren, die ihn in Byzanz abholen sollten.
Wenige Tage vor seiner Abreise war noch nicht entschieden, ob der Kaiser nach Ferrara oder Avignon reisen würde. Niketas, dem stärksten Verfechter der Kirchenunion auf griechischer Seite, der die Verhandlungen mit den päpstlichen Legaten Ambrogio Traversari und Nikolaus von Kues geführt hatte, war es zu verdanken, dass der Basileus am Konzil von Ferrara teilnahm. Das wusste ich von dessen Freund Basilios Bessarion, der an den Gesprächen beteiligt gewesen war.
Sobald feststand, dass Kaiser Ioannis nach Ferrara kommen würde, hatten Giuliano Cesarini, der Vorsitzende des Konzils von Basel, und viele andere ihre Reisetruhen gepackt, waren nach Florenz gekommen und hatten sich mit Papst Eugenius ausgesöhnt. Die Kirchenunion und das Bündnis mit dem byzantinischen Kaiser gegen den türkischen Sultan waren wichtiger als kirchenrechtliche Fragen zum Supremat des Konzils über den Papst. Doch etliche Bischöfe blieben in Basel. Im letzten Jahr hatte Eugenius die Basler Konziliaristen samt und sonders als Schismatiker verdammt.
»Als ich Basel verließ, um mich in Florenz Papst Eugenius zu unterwerfen«, fuhr Cesarini fort, »habe ich einen meiner Vertrauten
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