Der vergessene Tempel
Steinzeit so tief gegraben haben, dass wir den Schild damit nicht aufspüren würden.»
«Genau genommen handelt es sich um die Bronzezeit», murmelte Reed.
«Wie auch immer», sagte Marina, «die Russen müssen jedenfalls ziemlich tief gegraben haben, als sie das Fundament für den Leuchtturm aushoben. Wenn da eine Höhle gewesen wäre, hätten sie die auch gefunden.»
«Na großartig. Der Schild ist also nicht auf dieser Insel, aber wir sind hier. Und was machen wir jetzt?»
«Sourcelles’ Schrifttafel untersuchen. Das ist das Beste, was wir tun können. Vielleicht geben die Abbildungen auf der Rückseite uns neue Hinweise.» Reed klopfte auf seine Tasche, wo er das Täfelchen sicher in einer Zigarrenkiste verpackt bei sich trug. «Auf Kreta hat uns das schließlich auch weitergebracht.»
Jackson starrte ihn ungläubig an. «Ich dachte eigentlich eher kurzfristig, Professor. Ich meine zum Beispiel: Wie zum Teufel kommen wir von dieser Insel weg, wenn die Jagdflugzeuge über uns kreisen und wahrscheinlich gerade die gesamte Schwarzmeerflotte auf dem Weg hierher ist?»
«Wir warten», entgegnete Grant. «Den Jägern wird ziemlich bald der Treibstoff ausgehen. Wenn sie abdrehen, verschwinden wir.» Und mit schiefgelegtem Kopf fügte er hinzu: «Es klingt, als ob sie sich schon entfernen.»
Er streckte den Kopf zur Tür hinaus. Es dauerte einen Moment, bis er die Jagdflugzeuge am grauen Himmel entdeckte – sie flogen jetzt deutlich höher und stiegen steil in westlicher Richtung auf.
«Scheint, als ob Sie recht haben», stellte Jackson fest. «Sie geben auf.»
«Ich weiß nicht …» Grant schirmte die Augen mit einer Hand ab. Es war etwas Vertrautes an der Art, wie die Maschinen an Höhe gewannen; etwas Unheilverkündendes.
«Alle in den Leuchtturm!», schrie Grant plötzlich. «Schnell!»
Die Jäger machten kehrt und kamen in steilem Sinkflug wieder auf die Insel zu. Grant und die Übrigen rannten zum Leuchtturm hinüber, um im Schutz seiner massiven Mauern Deckung zu suchen. Die russischen Piloten mussten sie gesehen haben – aber sie interessierten sich nicht für die flüchtende Gruppe. Sie eröffneten das Feuer aus ihren Kanonen. Leuchtspurgeschosse gingen in wenigen hundert Metern Entfernung nieder wie phosphoreszierender Regen. Grant, der sie vom Eingang des Leuchtturms aus beobachtete, konnte die Einschläge nicht sehen, doch ihm war klar, worauf die Jäger zielten. Er stellte sich vor, wie die Patronen weißbrodelnde Gischtstreifen durch die Wellen zogen, die an den betonierten Landungssteg brandeten und …
Eine Explosion ließ die Luft erbeben. Von unterhalb der Klippen an der nordöstlichen Spitze der Insel loderten Flammen empor, dann stieg ein schwarzer Rauchpilz auf und hing einen Moment lang in der Luft, ehe er sich zu einer Decke auszubreiten begann. Im Hintergrund ertönten in rascher Folge mehrere schwächere Explosionen, wie Knallfrösche. Die Piloten fingen ihre Maschinen aus dem Sturzflug ab und drehten scharf ab, um dem Rauch auszuweichen. Grant sah, dass einer der beiden in einem ironischen Gruß mit den Tragflächen winkte, dann stiegen die beiden Flugzeuge wieder auf und verschwanden in Richtung des westlichen Horizonts.
«Und was machen wir jetzt?», fragte Jackson.
Sie schauten über den Rand der Klippe zum Landungssteg hinunter und versuchten, durch den Rauch, der noch immer aus dem Wrack des Wasserflugzeugs stieg, etwas zu erkennen. Viel gab es nicht zu sehen. Die Jaks mussten die Treibstofftanks getroffen haben – die Maschine war völlig zertrümmert. Einer der Schwimmer trieb im Wasser wie ein träger Hai; verkohlte Blechteile schaukelten darum herum auf den Wellen oder lagen gestrandet zwischen den Felsen am Fuß der Klippen.
«Wenigstens das Ruderboot ist noch da», sagte Reed in dem Bemühen, einen Lichtblick zu finden. Und tatsächlich: Der betonierte Anlegesteg hatte das kleine Boot des Leuchtturmwärters vor den Geschossen der Russen und der größten Wucht der Explosion geschützt, auch wenn es etwas tiefer im Wasser lag als vorher.
«Damit schaffen wir es niemals. Der nächste größere Hafen ist bestimmt zweihundertfünfzig Meilen entfernt – und außerdem müssten wir erst mal hinfinden. Dieser Nussschale würde ich nicht einmal zutrauen, mich über die Themse nach Vauxhall zu bringen.» Muir hustete, weil ihm der Wind einen Schwall öligen Rauch ins Gesicht blies.
«Die Russen werden uns hier nicht lange in Ruhe lassen», sagte Grant, den Blick auf
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