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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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einen geviertelten Kreis und ein einfaches Kreuz.

    «Und wo ist das?»
    Reed lächelte in mühsam unterdrückter Selbstzufriedenheit. «Nun, wenn der Ort auf den Tafeln von Knossos erwähnt wird, befindet er sich wahrscheinlich auf Kreta, und zwar naheliegenderweise in einer Gegend, in der wir bereits waren. Es gibt eine neuzeitliche Siedlung am Eingang zum Tal der Toten, die Kato Zakros heißt – Altes Zakro. Die British School hat dort 1901 Ausgrabungen durchgeführt und Hinweise darauf gefunden, dass sich an der gleichen Stelle bereits in minoischer Zeit eine Siedlung befand, wahrscheinlich ein Hafen an der wichtigsten ägäisch-levantinischen Handelsroute. Wenn man also annimmt, dass der Name mehr oder weniger gleich geblieben ist, würde das heißen, dass diesen Zeichen die Lautwerte Za-ka-ro zuzuordnen sind.»
    «Warum ‹ka›?» Muir zeigte auf das mittlere Symbol. «Warum nicht einfach ‹k›?»
    «Die meisten Schriftzeichen sind syllabisch – das heißt ein Konsonant in Verbindung mit einem Vokal. Wenn ein Wort zwei Konsonanten in Folge oder einen einzelnen Konsonanten enthält, muss man in der Regel einen zusätzlichen Vokal einfügen, um es zu buchstabieren.» Reeds Blick schweifte für einen Moment in die Ferne, dann konzentrierte er sich wieder auf Muir. «Wenn Sie also beispielsweise ‹Biskuit› in einem syllabischen Alphabet buchstabieren wollten, müssten Sie es ‹Bi-su-ki-ta› schreiben.»
    «Erstaunlich», sagte Muir und schüttelte ungläubig den Kopf. «Gute Arbeit, weiter so.» Er warf eine Streichholzschachtel auf den großen Papierbogen. «Hier, nehmen Sie die besser.»
    «Ich rauche nicht», wehrte Reed höflich ab.
    «Die brauchen Sie, um im Notfall Ihre Unterlagen zu verbrennen, bevor sie in die falschen Hände geraten.»

    Später am Nachmittag entdeckte Grant einen Schatten am Horizont. Er beobachtete durch den Feldstecher, wie der Schatten näher kam: ein sowjetisches Patrouillenboot. Grant lief nach unten, um die anderen zu warnen. Auf dem Weg schloss er den Lagerraum auf und holte den Leuchtturmwärter heraus, einen drahtigen Mann mit grauer Mähne, einem buschigen Bart und einem mürrischen Gesicht. Durch Zeichen gab Grant ihm zu verstehen, er solle das Leuchtfeuer anzünden.
    «Warum zum Teufel haben Sie das gemacht?», fragte Muir, als Grant wieder zum Vorschein kam. Aufgrund der dichten Wolkendecke setzte die Dämmerung früh ein, und wenn er den Kopf zurücklegte, konnte er bereits den Lichtschein an der Unterseite der Wolken entlanggleiten sehen.
    «Wir wollen doch nicht, dass sich die Sowjets im Dunkeln verirren.»
    «Wollen wir das nicht?»
    «Wenn sie nicht kommen, sitzen wir noch ewig auf dieser Insel fest.» Grant befestigte mit einem Riemen ein Messer an seinem Unterschenkel und zog das Hosenbein darüber. «Vorerst bleiben wir hier drin. Wenn sie uns nicht sehen, werden sie anfangen sich zu fragen, ob wir überhaupt hier sind.»
    Die Sonne ging am westlichen Horizont unter – quälend langsam für Grant, der es vom Funkraum des Leuchtturms aus beobachtete. Er konnte nicht mehr zählen, wie oft er inzwischen aus dem Fenster geschaut hatte, nur um festzustellen, dass sich die Sonne kaum bewegt hatte. Wenigstens schien auch das Patrouillenboot es nicht eilig zu haben.
    Als es endlich dunkel genug war, machten sie sich auf den Weg. Grant ging als Letzter; er verriegelte die Stahltür von innen, dann stieg er zur Plattform hinauf und kletterte über die Leiter nach unten. Hinter der Hütte mit dem Schlafraum stieß er wieder zu den anderen. Er spähte um die Ecke und sah draußen auf dem Meer die roten und grünen Navigationslichter des Patrouillenbootes auf und ab tanzen. Dann plötzlich verschwanden die Lichter.
    «Sie kommen. Los geht’s.»
    Sie krochen auf allen vieren den Hang hinunter und wählten ihren Weg dabei so, dass sie von dem russischen Boot aus nicht zu sehen waren. Reed, dem die Dunkelheit noch nie behagt hatte, fühlte sich in einen Initiationsritus irgendeines grausigen schwarzen Kults versetzt. Er konnte den Weg vor sich nicht sehen; seine gesamte Welt wurde zu einem dunklen, feindseligen Ort, an dem scharfkantige Felsen mit klebrigem Vogelkot abwechselten. Überall um ihn herum flatterten, krächzten, krochen und zischten unsichtbare Kreaturen. Einmal griff er mit der Hand in ein Vogelnest und spürte, wie die Eier unter seinem Gewicht zerbrachen. Seine Hand wurde nass, und er stieß unwillkürlich einen Schreckenslaut aus.
    «Pssst», ermahnte

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