Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
Vom Netzwerk:
dann. «Keine Bange.» Er zog sein elfenbeinbesetztes Zigarettenetui heraus. «Auch eine?»
    Für eine Zigarette hätte Grant jetzt einen Mord begangen, aber so weit, Muirs Großzügigkeit anzunehmen, war er noch nicht. «Wie wär’s, wenn Sie mir endlich erklären, was zum Teufel hier eigentlich vorgeht?»
    Muir zündete ein Streichholz an, fügte dem kühlen Schein der Taschenlampe das warme Licht der Flamme hinzu. «Sie glauben wohl, ich schulde Ihnen eine Erklärung?»
    Stein knirschte im hinteren Teil der Kammer, und alle drei fuhren herum. Reed kniete auf der Bank vor der Nische in der Wand. Anscheinend hatte er den Baityl von seinem Sims gehoben, oder zumindest zurückkippen können, wodurch eine dunkle Aushöhlung zum Vorschein gekommen war.
    «Könnte mir bitte jemand behilflich sein?»
    Grant und Muir starrten sich über den Lauf des Webley unversöhnlich an. Marina seufzte entnervt und ging zu Reed hinüber.
    «Darunter befindet sich irgendetwas», erklärte er. «Kommen Sie da ran?»
    Marina beugte sich vor. Nach wenigen Sekunden zog sie ihre Hand wieder heraus, um einen kleinen, flachen Gegenstand gelegt. Sie betrachtete ihn – und schnappte vor Verblüffung laut nach Luft. Wortlos reichte sie ihn Reed.
    «Bemerkenswert», flüsterte er.
    Grant ließ den Sicherungshebel am Webley einrasten. «Also», sagte er, «könnte mir bitte mal jemand sagen, was hier eigentlich gespielt wird?»

    Sie saßen auf dem Felsvorsprung draußen vor der Höhle, wo sie sich erst wieder blinzelnd an das helle Sonnenlicht gewöhnen mussten. Reed, der sich einen Sonnenhut mit breiter Krempe aufgesetzt hatte, saß auf einem Felsen und schälte eine Apfelsine. Marina hielt jetzt den Webley auf Muir gerichtet, während Grant das Objekt in den Händen umherwendete. Es war ein Tontäfelchen, etwa einen halben Zentimeter dick und so groß wie sein Handteller, mit abgerundeten Ecken und glatter Oberfläche – außer am unteren Rand, der schartig und unregelmäßig war, als wäre ein Teil abgebrochen. Trotz der Flecken, die Alter, Feuer und Erde auf dem Ton hinterlassen hatten, waren die hineingeritzten Zeichen deutlich zu erkennen. Eine Seite war mit seltsamen, winzigen Symbolen bedeckt – eine Reihe nach der anderen, eingeritzt, als der Ton noch feucht war, und dann für die Ewigkeit hineingebacken.
    «Ist das Linear B?»
    «Ja.» Reed und Marina antworteten wie aus einem Munde und wechselten dann einen erfreuten Blick, überrascht, ihr Wissen miteinander zu teilen.
    Grant fuhr mit einem Finger über die Zeichen, folgte den rauen Kanten und tiefen Schnörkeln, als könnte er so irgendwie den Puls ihrer uralten Geheimnisse fühlen. Was stand dort geschrieben? Er drehte das Täfelchen herum. Die Unterseite war nicht beschriftet: Der Ton war glatt und zeigte noch die Spuren der Hände, die ihn einst flach geknetet hatten. Aber leer war diese Seite nicht. Grant legte sich Pembertons Notizbuch aufgeschlagen aufs Knie, beschwerte die Seite mit dem Tontäfelchen und betrachtete beides: die von Pemberton ausgeführte Tintenskizze und die mit verblasster, abgeblätterter Farbe auf das Täfelchen gemalte Szene. Die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen. Es handelte sich um ein und dasselbe Bild. Zwei Berge, die Seiten des Tals; ein abgerundeter Berggipfel, ein von Hörnern gekröntes Heiligtum und ein Paar Tauben. Und darüber schwebend ein Löwe, dasselbe Tier, das sie noch heute aus seiner Nische über dem Felsspalt anblickte.
    «Pemberton hat es wohl vor seinem Aufbruch in der Höhle versteckt», sagte Reed. Er ließ sich von Grant Buch sowie Täfelchen geben und untersuchte beides noch einmal, blätterte die Seiten durch, bis er bei dem Homer-Zitat anlangte, mit dem die Aufzeichnungen endeten. Er verzog kurz das Gesicht. «‹ Gleich wie lebende Menschen durchschalteten diese die Feldschlacht, Und entzogen einander die Leichname toter Helden.› So war auch John Pemberton. Ein Held.»
    «Ein guter Mann», ergänzte Marina.
    «Ein toter Mann.» Grant wandte sich an Muir. «Aber was ich gerne wüsste: Was hat er gefunden, das so verdammt wertvoll ist? Und warum sind Sie so verbissen dahinter her?»
    «Das ist Verschlusssache.» Muir fletschte die Zähne. «Geheim.»
    «So geheim, dass Sie bereit wären, dieses Geheimnis mit ins Grab zu nehmen?» Grant spähte über den Rand des Felsvorsprungs. «Den Sturz würden Sie vermutlich nicht überleben – aber tot wären Sie ohnehin schon, bevor Sie unten ankommen.»
    Rechts neben Grant hielt

Weitere Kostenlose Bücher