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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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zurückgehen. Falls sie ihr Heiligtum hier an diesem Ort hatten, dürften sie nach neun Tagen voller Rituale ziemlich unangenehm gerochen haben.»
    Der Ort lag nur wenige Meilen von Myrina entfernt, die sie am Morgen zu Fuß zurückgelegt hatten. Viel Material war in der Stadt nicht aufzutreiben gewesen, immerhin war Ostersonntag, aber Grant und Marina war es dennoch gelungen, ein paar Werkzeuge, Petroleumlampen, ein Seil und einen Esel zu organisieren, der alles zu dem Heilbad in Therma transportierte. Jetzt waren sie angekommen und atmeten die Luft ein, die Grant alles andere als gesund vorkam.
    «Und was machen wir jetzt? Sollen wir den Betreiber fragen, ob er in dem Bad einen dreitausend Jahre alten Meteoriten gefunden hat?» Er zeigte auf die verschlossene Tür und die dunklen Räumlichkeiten hinter den Spitzengardinen. «Es wirkt irgendwie geschlossen.»
    «Feiertag.» Reed blickte suchend umher. «Aber die Thermalquellen entspringen auch nicht im Bad selbst. Das Wasser wird von anderswoher zugeleitet. Sehen wir uns mal um.»
    Eine kurze Erkundung der Gebäude förderte nichts Interessantes zutage. Sie ließen Muir bei dem Esel zurück und schwärmten aus, arbeiteten sich nach und nach weiter das Tal hinter dem Heilbad hinauf. Der Schwefelgeruch ließ allmählich nach, wurde überlagert von dem schweren Duft von Wildblumen, und sie kamen nur langsam voran, da sie durch hohes Gras stapfen mussten. Am Ende des Tals verschwand der Bach. Grant suchte eine Viertelstunde lang nach einer Quelle, wurde jedoch nicht fündig. Er setzte sich auf einen sonnenbeschienenen Fels und beobachtete die Eidechsen, die zwischen den Steinen umherflitzten. Zu seinen Füßen lag die abgestreifte, verschrumpelte Haut einer Schlange.
    «Was ist da drüben?» Reed war ihm gefolgt und tauchte jetzt mit unter dem Sonnenhut hochrot angelaufenem Gesicht hinter ihm auf. Er deutete den Berg hinauf, dorthin, wo eine abgerundete Bergkuppe aus der sanft gewellten Landschaft aufragte. Im Tal war sie verdeckt gewesen, doch von dem Kamm aus war sie gut zu erkennen. Reed griff nach seinem Fernglas, hielt es sich vor die Brille und reichte es dann an Grant weiter. Ohne recht zu wissen, wonach er genau Ausschau halten sollte, stellte er die Gläser scharf, bis das verschwommene Bild aufklarte.
    «Obendrauf steht ein Kreuz.» Es war ein Eisenkreuz, etwa zwei Meter hoch, das mit Halteseilen befestigt war. Auf einem der Querbalken saß ein Falke und putzte sich.
    Grant ließ das Fernglas sinken. «Ich bin zwar kein Historiker, aber kommen Kirchen nicht ein bisschen später als das, wonach wir suchen?»
    «Waren Sie schon mal im Forum Romanum in Rom? Als die Christen die Macht im Reich übernahmen, mauerten sie die heidnischen Tempel einfach zu und wandelten sie in Kirchen um. Die klassischen Säulen in den Wänden sind noch gut zu erkennen. Der Parthenon in Athen wurde als Kirche benutzt – und nach der Eroberung durch die Osmanen als Moschee. Religionen kommen und gehen, aber heilige Orte erweisen sich in der Regel als sehr langlebig.»
    «Versuchen können wir es ja mal.»
    Über den mit losem Geröll übersäten Hang traten sie den Aufstieg zum Gipfel an. Von weiter unten aus hatte er wie ein ganz normaler Berggipfel ausgesehen, doch als sie näher kamen, stellten sie fest, dass die hintere Seite offensichtlich schroff in die Tiefe abfiel. Unterhalb des Gipfels war die gesamte Rückseite des Berges ausgehöhlt, sodass er darüber wegragte wie eine heranflutende Welle. Die dadurch gebildete Höhle war gut dreißig Meter hoch. Hineingeschmiegt, fast ganz in ihrem Schatten verborgen, war ein kleiner, weißgetünchter Innenhof mit einer Kirche hinten an der Rückwand.
    «Heilige Orte», murmelte Reed.
    Marina nickte. «Es wirkt fast so, als hätte die Natur das für diesen Zweck erschaffen. Eine riesige Gebärmutter im Felsen – oder auch ein Ofen.»
    «Sieht sogar ein bisschen aus wie ein Vulkan, wenn man die Augen zusammenkneift», räumte Grant ein.
    «Und seht nur, dort.» Marina deutete auf den Torpfosten. Auf einem Wandmosaik stand auf goldenem Untergrund in blauen Steinchen zu lesen AΓIA ΠANAΓIA.
    «Ayia Panayia», erläuterte Reed. «Ein Attribut der Jungfrau Maria. Es bedeutet ‹allheilig› und unterstreicht ihre Eigenschaft als Gottes Partnerin bei der Zeugung Jesu. Wenn man es ketzerisch betrachten will, lässt sich das von den uralten Kulten einer allmächtigen, allfruchtbaren Göttin ableiten, die wiederum selbst Götter gebärt.» Reed

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