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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Ela . Bedecke deine Blöße, bevor die Kabiren neidisch werden.»
    Grant zog sie rasch über. «Ich meine, ich hätte dich gebeten, am Gasauslass zu warten.»
    «Ich wollte verhindern, dass du an der Fundstätte Unheil stiftest, bevor sie angemessen archäologisch untersucht werden kann.»
    «Ja, hier ist einiges zu finden.» Er beugte sich hinab, um sie aus dem Loch zu ziehen, hielt aber dann inne. «Kannst du nochmal durch den Tunnel kriechen?»
    «Das hoffe ich doch mal.»
    «Dann solltest du besser die anderen holen. Das werden die sich nicht entgehen lassen wollen.»

    Zu Grants heimlicher Enttäuschung gelang es Marina, sich durch das Loch zu zwängen, ohne sich entkleiden zu müssen. Reed für seinen Teil kam sogar fast wie ein Kistenteufel hindurchgeschnellt. Die klaustrophobische Kriechtour durch den Tunnel schien ihn nicht sonderlich geschockt, sondern im Gegenteil mit Energie erfüllt zu haben. Aufgeregt wie ein kleiner Junge in einem Spielzeugwarengeschäft huschte er in der Kammer umher, nahm alles in Augenschein und ließ immer wieder leise Ausrufe des Erstaunens vernehmen. In einer Ecke fand er zwei eiserne Kessel, die jeweils auf drei nach außen gebogenen Füßen ruhten.
Aber Hephästos’ Palast erreichte die Herrscherin Thetys,
Sternenhell, unvergänglich, in strahlender Pracht vor den Göttern,
Welchen aus Erz er selbst sich gebaut, der hinkende Künstler.
Ihn dort fand sie voll Schweiß um die Blasebälge beschäftigt,
Eiferig: denn Dreifüße bereitet’ er, zwanzig in allem,
Rings zu stehn an der Wand der wohlgeründeten Wohnung.
    «Genau wie von Homer beschrieben. Das hier muss die erste Kultstätte gewesen sein, bevor sie an die Küste verlegt wurde.» Er schüttelte staunend den Kopf. «Wir sind gerade in einen Club eingeführt worden, der seit zweitausend Jahren keine neuen Mitglieder mehr hatte.»
    «Nur gut, dass niemand hier war, um uns abzulehnen.» Muirs Kopf tauchte aus dem Loch auf. Grant und Marina zogen ihn mit vereinten Kräften heraus.
    «Gewisse Elemente des Ritus haben natürlich gefehlt …» Reed verstummte kurz, um einen Fries zu betrachten. «Der Tunnel, durch den wir gekommen sind, dürfte ohne Frage der Initiationspfad in den Kult gewesen sein. Zuerst einmal der symbolische Tod im Wasser …»
    «Der wäre um ein Haar mehr als symbolisch gewesen», sagte Grant und dachte schaudernd an die völlige Leere in dem schwarzen Gewölbe unter Wasser. «Aber ich dachte, Wasser diente nur dazu, einen zu reinigen.»
    «Für die Alten bestand zwischen Tod und Reinigung ein enger Zusammenhang. Das Wasser, das den Körper oder die Seele eines Menschen reinigt, kann ihn auch von aller Erinnerung befreien. Um in den Hades zu gelangen, musste man Lethe überqueren, den Fluss des Vergessens. Nach Auffassung der Griechen war es gleichbedeutend mit dem Tod, wenn man vergaß, wer man war. Noch heute, wenn wir an die christliche Taufe denken, dient das Wasser nicht nur dazu, einen zu reinigen. Wenn man hineingetaucht wird, stirbt die Sünde. Bei den Griechen wird nach dem symbolischen Tod im Wasser durch das Feuer neues Leben entzündet – man zwängt sich durch den Geburtskanal und kommt hier, nackt wie ein Neugeborenes, zum Vorschein. Pratolaos, wiedergeboren in die heiligen Mysterien des Hephaistos und seiner Söhne, der Kabiren.»
    «Faszinierend», sagte Muir. «Jetzt sehen Sie zu, ob Sie das Mysterium dieses verdammten Meteoriten lösen können.»
    Sie schwärmten aus, um das Heiligtum abzusuchen. Grant und Marina bewegten sich an den Rändern entlang, prüften jede Nische, jeden Schatten; Muir ging in die entgegengesetzte Richtung. Reed schien an der Aufgabe seltsam unbeteiligt. Er hatte es irgendwie fertiggebracht, eine Taschenlampe durch den Tunnel mitzubringen, und begnügte sich damit, in ihrem Schein die erstarrten Steinfiguren auf den Friesen zu betrachten.
    «Hier drüben.»
    Grant ging zu Muir auf die andere Seite des Raums hinüber, hinter den gehörnten Altar. Was er zunächst für eine weitere Nische gehalten hatte, erwies sich in Wirklichkeit als Tür, die in eine kleine Seitenkammer führte. Diese war viereckig und wesentlich schlichter als das Hauptgewölbe, mit nur einem einzigen Reliefband, das sich an der Wand entlangzog. In der Mitte des Raums erhob sich kniehoch ein oben abgeflachter Felsblock aus hartem, blau schimmerndem Stein; im hinteren Teil befand sich im Boden eine schalenförmige Vertiefung, etwa dreißig Zentimeter im Durchmesser. Ringsherum lagen gebogene

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