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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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Keramikscherben verstreut.
    «Was ist das?», fragte Grant. «Ein weiteres Heiligtum?»
    «Ich glaube, es handelt sich um einen primitiven Ofen.» Marina drängte sich an ihnen vorbei, kniete sich neben die Vertiefung im Boden und griff hinein. Ihre Hand war schwarz, als sie sie wieder herauszog.
    «Ich glaube, ich habe eine Vermutung, wo der Meteorit hingekommen ist.»
    «Wohin?» Muir fuhr herum, blickte sich hektisch im Raum um. Doch aus Marinas Stimme hatte kein Triumph gesprochen, eher müde Resignation. Grant folgte mit den Augen ihrem Blick hinab in den dunklen Rachen des Ofens, der zu ihren Füßen aufklaffte.
    «Sie haben doch gesagt, den Tests zufolge bestünde der Meteorit neben Element 61 hauptsächlich aus Eisen.»
    Grant kam ein schrecklicher Gedanke. «Du hast doch gesagt, das hier sei aus der Bronzezeit», wandte er ein. «Ich dachte, die Eisenzeit kam erst später.»
    «Allerdings.» Reed war ebenfalls in den Raum getreten und stand dicht bei der Tür, die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt. «Das ist interessant – die Vorstellung eines eisernen Zeitalters stammt ursprünglich von dem Dichter Hesiod. Ein Beinahezeitgenosse Homers. Für ihn hatte das nichts mit Technik und dergleichen zu tun, sondern mit dem Glanz einer Kultur. Seiner Auffassung nach war die Reihenfolge umgekehrt: Auf ein goldenes Zeitalter voll glänzender Errungenschaften folgen ein silbernes und ein bronzenes Zeitalter, am Ende dann die stumpfe Hässlichkeit von Eisen. Erst in unserem wissenschaftlich geprägten Zeitalter sind wir dazu gekommen, Eisen als Fortschritt anzusehen. Härter, schärfer, billiger – viel besser zur Verarbeitung in Waffen und Maschinen und Stacheldraht geeignet.»
    «Das ist bestimmt sehr faszinierend, Professor.» Muirs Stimme war die Ungeduld anzuhören. «Aber konnten die Mykener Eisen bearbeiten?»
    Reed schien verblüfft über die Frage. «Selbstverständlich.»
    «Aber Sie sagten doch, die lebten in der Bronzezeit.»
    «Ein neues Zeitalter beginnt nicht mit Glockenschlag Mitternacht. Eisenzeit, Bronzezeit, Steinzeit – das sind eher grobe Oberbegriffe. Die Übergänge dazwischen dürften fließend und graduell gewesen sein, ein über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte ablaufender Prozess. Und dann sind da noch die praktischen Fragen. Die Bearbeitung von Eisen ist, soweit ich weiß, nicht so furchtbar schwierig, da geht es nur darum, es auf die richtige Temperatur zu erhitzen. Der wirklich knifflige Teil scheint in der Gewinnung des Eisens aus Eisenerz bestanden zu haben.»
    «Die frühesten Werkstücke aus Eisen sind alle meteoritischen Ursprungs», bestätigte Marina. «Axtklingen, Pfeilspitzen, Messer … das altägyptische Wort für Eisen lautet sogar wörtlich übersetzt ‹Metall des Himmels›. Eine andere Quelle kannte man damals gar nicht.»
    Auf einmal überkam Grant tiefe Erschöpfung. Draußen in der Außenwelt, wo die Zeit nicht drei Jahrtausende lang stillgestanden hatte, musste es jetzt gegen Mitternacht sein. Er ließ sich auf den abgeflachten Felsblock sinken und starrte zu Boden. «Dann haben die Mykener also in dem Heiligtum auf Kreta diesen saftigen Klumpen Eisen – gemischt mit Element 61 – gefunden und hierher gebracht …»
    «… um ihn einzuschmelzen.» Marinas Worte hallten durch die Steinkammer.
    «Ja, natürlich. Anders hätten sie nicht vorgehen können. Sie sitzen vermutlich auf dem Amboss, auf dem sie es ausgehämmert haben.»
    Reed klang so fröhlich, fast schon aufgekratzt, dass ihn die anderen verwirrt anstarrten.
    Er wiederum reagierte völlig verwundert auf ihre düsteren Mienen. «Habe ich Ihnen das nicht erzählt? Kommen Sie, schauen Sie es sich an.»

    Sie kehrten in die Hauptkammer zurück. Reeds Taschenlampe huschte über den Steinfries, der sich etwa in Kopfhöhe an den Wänden entlangzog. Der gelbe Lichtschein vertiefte nur die Schatten um die eingemeißelten Figuren, die förmlich aus der Steinwand zu springen und in der Luft lebendig zu werden schienen.
    « Gleich wie lebende Menschen durchschalteten diese die Feldschlacht. Erinnern Sie sich an das Ilias- Zitat in Pembertons Notizbuch?»
    «Es stammte aus einem Abschnitt, in dem Hephaistos’ Werkstatt beschrieben wird, sagten Sie.»
    «Habe ich das gesagt?» Reed klang überrascht. «Nun ja, schon. In gewisser Weise. Zutreffender hätte ich sagen sollen, dass hier eine Metallarbeit beschrieben wird, die Hephaistos in seiner Schmiede anfertigt. Sagt Ihnen der Begriff Ekphrasis

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