Der vergessene Tempel
entlang.
Als Grant das Fahrzeug erreichte, mühte sich der Mann auf dem Beifahrersitz noch immer mit der Tür ab. Er hatte eine Pistole gezogen und hämmerte mit dem Griffstück gegen das Seitenfenster. Die Scheibe zersprang, sodass nur noch gezackte Scherben im Rahmen zurückblieben wie scharfkantige Zähne. In seinem verzweifelten Versuch zu entkommen hatte er Grant nicht bemerkt, und dieser nutzte den Überraschungseffekt. Ehe der andere schießen konnte, griff Grant durch das eingeschlagene Fenster, packte seinen Arm und zerrte ihn heraus. Der Mann hielt die Pistole noch immer am Lauf gepackt; er versuchte sie herumzudrehen, doch Grant drückte seinen Arm kräftig auf den Rahmen des Fensters hinunter, sodass sich die Glasscherben in sein Fleisch bohrten. Der Mann schrie auf und ließ die Pistole fallen. Ohne seinen Arm loszulassen, bückte sich Grant, hob die Waffe auf und schoss ihm damit zweimal in die Brust. Der blutige Arm erschlaffte.
Grant wandte sich ab und rannte um das Heck des Autos herum. Er sah den Fahrer auf sich zustolpern, noch sichtlich benommen von dem Aufprall. Eine Hand war halb erhoben – ob zur Abwehr oder als Zeichen, dass sich der Mann ergeben wollte, konnte Grant nicht erkennen –, die andere tastete unter der Jacke nach etwas.
Grant wusste nicht, wie viele Kugeln er noch im Magazin hatte, doch in der Eile blieb ihm keine andere Wahl. Er schoss auf den Fahrer, und als dieser strauchelte, trat er ihm die Beine weg. Noch ehe der Mann auf dem Boden aufschlug, war Grant schon an ihm vorbei und rannte dem Dieb hinterher.
Der Flüchtige hatte bereits einigen Vorsprung, doch er war kleiner und weniger muskulös als Grant, und außerdem behinderte ihn Reeds Tasche beim Laufen. Sein brauner Leinenanzug flatterte, die Lederschuhe klapperen laut auf dem Pflaster. Passanten starrten ihn an, als er vorbeirannte, doch niemand versuchte ihn aufzuhalten. Wegen der vielen Menschen wagte Grant nicht, zu schießen. Aber er holte auf.
Der Dieb erreichte eine Straßenecke und sah sich um. Grant, der auf ihn zurannte und dabei wie ein Verrückter mit der Pistole fuchtelte, war unmöglich zu übersehen. Der Mann streifte den Riemen der Tasche von der Schulter und ließ sie in die Gosse fallen, dann sprintete er quer über die Straße. Grant sah es und steigerte sein Tempo. Die Straße war breit, und es waren keine Fahrzeuge in Sicht, sodass er freie Schusslinie hatte.
Links von ihm klingelte eine Glocke, aber Grant achtete nicht darauf. An der Ecke angekommen, ging er in die Knie und hob die Pistole. Auf dem Mittelstreifen stand eine Reihe Blumenkübel aus Beton, doch Kopf und Schultern des Diebes waren darüber noch gut sichtbar, wie eine Pappsilhouette auf dem Schießstand. Es war ein Schuss, wie Grant ihn schon tausendmal ausgeführt hatte.
Und dann verschwand der Mann. Unter Rattern und Klingeln schob sich eine braune Wand vor ihn – eine Straßenbahn, die träge die Straße hinunterzockelte, der Dringlichkeit von Grants verzweifelter Verfolgungsjagd zum Trotz. Ein paar der Fahrgäste hatten offenbar den abgehetzt aussehenden Engländer bemerkt, der am Straßenrand mit einer Pistole fuchtelte. Sie zeigten auf ihn, drückten ihre Gesichter gegen die Scheibe und reckten die Hälse, während die Straßenbahn unaufhaltsam daherrollte.
Grant rannte weiter, um das hintere Ende der Straßenbahn herum, und sprang auf einen der Betonkübel. Von dort aus konnte er die umgebenden Straßen überblicken, die Menge grauer Anzüge und schwarzer Kleider – doch der Deutsche war verschwunden.
Gleich darauf näherte sich ein Polizeiauto mit hoher Geschwindigkeit und kam mit quietschenden Reifen zum Stehen. Grant legte die Pistole in den Blumenkübel und stieg herunter. Drüben auf dem Gehweg bahnte sich eine vertraute Gestalt einen Weg durch die Menge der Schaulustigen: Marina hatte ihn endlich eingeholt. Sie hielt Reeds Tasche, die der Dieb weggeworfen hatte, am Riemen in der Hand, doch ihr Gesicht war düster.
Grant, inzwischen von Polizisten umstellt, hob die Hände. «Ist die Tafel noch drin?», rief er Marina zu.
Sie schüttelte den Kopf. «Sie ist verschwunden.»
NEUNZEHN
Hotel Grande Bretagne, Athen
«Himmel, Sie haben aber wirklich ein Talent dazu, Scherereien zu machen.»
Sie befanden sich in einem Zimmer des Hotels Grande Bretagne. Das Haus hielt allerdings nicht, was sein hochtrabender Titel versprach – die britische Armee hatte nach der Befreiung 1944 den Namen wörtlich genommen, sich in dem
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