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Der vergessene Tempel

Der vergessene Tempel

Titel: Der vergessene Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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meldete sich die Dame von der Rezeption wieder. «Nein, es gibt keine Nachrichten.»
    Er beendete das Gespräch, dann rief er erneut die Vermittlung an und fragte nach der Nummer des Club Charon. Er musste es ewig klingeln lassen, so lange, dass der Ton sich in sein Gehirn zu bohren schien.
    «Nä?» Eine Frauenstimme, verschlafen und argwöhnisch.
    «Ist Molho da?»
    Keine Antwort.
    «Wenn er kommt, sagen Sie ihm, Mr.   Grant hat angerufen. Sagen Sie ihm, ich muss ihn sprechen. Sehr dringend. Ja?»
    Sie legte wortlos auf.

    Da er sich in der Bibliothek nicht mehr sehen lassen konnte, ging er zurück ins Hotel, legte sich auf sein Bett und versuchte zu schlafen. Eigentlich hätte er müde sein müssen, doch der Adrenalinschub von der Verfolgungsjagd mit Belzig war noch nicht abgeflaut, und die Anspannung ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Sonnenlicht pulsierte durch die dünnen gelben Vorhänge, diffus und zeitlos. Jemand – wahrscheinlich Reed – hatte ein Buch auf seinen Nachttisch gelegt, eine Übersetzung der Ilias. Grant nahm sie und blätterte darin. Irgendwann musste er dann doch eingeschlafen sein, denn einige Zeit später ließ ihn ein Klopfen aufschrecken. Er sprang aus dem Bett, griff nach dem Webley und ging zur Tür. «Wer ist da?»
    «Ich», sagte Muir. «Nehmen Sie Ihren Hut und Ihre Waffe. Jacksons Mann hat gerade angerufen. Molho ist im Club eingetroffen.»
    Sie verließen das Hotel im Laufschritt. Als sie am Empfang vorbeikamen, schien es dort gerade Unruhe zu geben – Grant glaubte zu hören, dass die junge Frau seinen Namen rief –, doch er war bereits halb zur Tür hinaus und beachtete sie nicht. Muir setzte sich ans Steuer des Wolseley aus der Vorkriegszeit, den er aus dem Fuhrpark der Botschaft ausgeliehen hatte. Sein Fahrstil war ebenso aggressiv wie alles andere an ihm; er raste über die Uferpromenade, ohne Rücksicht auf die Urlauber, Esel und Fußgänger zu nehmen, die den größten Teil des Verkehrs ausmachten.
    Sobald sie den Club erreichten, wurde ihnen klar, dass etwas nicht stimmte. Ein Jeep der Army stand vor dem Gebäude quer auf der Straße. Ein amerikanischer Soldat bewachte den Wagen, und ein weiterer Infanterist stand auf dem oberen Absatz der Treppe, die zum Untergeschoss führte.
    Der Wachposten bei dem Jeep ging langsam auf den Wolseley zu. Muir sprang so heftig hinaus, dass der Schwung der Tür den Soldaten beinahe umgerissen hätte. «Ist Jackson hier?»
    Jackson wartete drinnen auf sie, zusammen mit einem Mann in blauem Anzug, den Grant nicht kannte. In der Luft hing noch immer der Rauch der vergangenen Nacht, nur dass es jetzt völlig still war. Hocker und Stühle standen umgedreht auf den Tischen; ihre Beine ragten in die Luft wie die Stacheln von Seeigeln. Ein halbes Dutzend Notenständer waren hinter einen Vorhang geräumt. In einem Wassereimer stand ein Wischmopp. Grant fühlte sich auf seltsame Weise an den Palast von Knossos erinnert: Ein Archäologe, der in tausend Jahren diese Artefakte entdeckte, würde niemals dahinterkommen, was sich hier zugetragen hatte.
    Molho lag mitten im Raum unter einem weißen Tuch, einer Tischdecke, die jemand über ihn gebreitet hatte. Er konnte noch nicht lange tot sein. Das Tischtuch war stellenweise rot getränkt, als hätte ein ungeschickter Gast seinen Wein umgestoßen, und unter dem Saum sickerte eine dunkle Lache hervor.
    «Ganz schön übel zugerichtet», sagte Jackson. «Sie haben ihn wirklich hart rangenommen. Zähne, Finger, das volle Programm.» Er sprach mit brutaler Gleichgültigkeit, wie ein Händler, der eine Bestandsaufnahme vortrug. «Welche Geheimnisse er auch immer hatte – Sie können verdammt sicher davon ausgehen, dass er sie preisgegeben hat.» Er schob mit der Schuhspitze das Tuch zurück, um den Kopf freizulegen. «Ist er das?»
    Molhos Gesicht bot einen grauenhaften Anblick, doch Grant bewahrte die Fassung – er hatte im Krieg Schlimmeres gesehen. Wenn auch nicht viel. «Ja. Armer Teufel.» Er hatte den Mann gemocht, jedenfalls soweit er ihn kennengelernt hatte. Es kam ihm unfassbar grausam vor, dass jemand den Krieg mit allen seinen Schrecken überlebt hatte, nur um dann so zu enden. Doch Grant war mit der unfassbaren Grausamkeit der Welt bereits gut vertraut. «Decken Sie ihn wieder zu, in Gottes Namen.»
    Jackson schob das Tuch über das Gesicht. «Mike hier» – er zeigte auf den Mann mit dem blauen Anzug – «hat das Gebäude beobachtet. Als Molho auftauchte, ist er zum nächsten Telefon

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