Der vergessene Templer
rannte er nicht wie ein Teufel davon.
»Eine Minute können wir uns noch geben. Ich höre und sehe nichts von einem Ritter. Wo haben Sie ihn erlebt?«
»Nicht auf der Straße. Sharon und ich waren zu einem kleinen Hügel gefahren. Wir wollten dort etwas essen und trinken. Der Blick über den Rhein war toll, und der Hügel ist auch nur Einheimischen bekannt. Aber dann passierte es.«
Zunächst passierte etwas mit Sven, weil er wieder husten musste. Danach sprach er schnell und flüsternd weiter, und so erfuhr Dagmar Hansen, was den beiden Menschen bei ihrem Picknick widerfahren war.
Aus dem Hügel war diese Gestalt mit dem Helm und dem Schwert hervorgebrochen und hatte die Verfolgung aufgenommen. Zuvor hatte der Ritter es geschafft, den Corsa zu zertrümmern.
Da Dagmar nichts sagte, musste Sven Nolte kurz lachen, bevor er fragte: »Jetzt halten Sie mich für verrückt, wie? Jetzt glauben Sie mir kein Wort – oder?«
»Nun ja...«
Er ließ sich nicht beirren. »Das hätte ich an Ihrer Stelle auch nicht getan, wenn mir jemand so etwas erzählt hätte. Aber Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen, es war so, wie ich es Ihnen eben erzählt habe. Kein Wort ist gelogen. Fragen Sie Sharon, dann wird Sie Ihnen alles bestätigen, Frau Hansen.«
»Sagen Sie ruhig Dagmar zu mir.«
»Gut.« Er fasste sie an beide Schultern. »Können Sie jetzt verstehen, warum wir so hastig geflohen sind? Uns saß wirklich ein wahrer Teufel im Nacken, und ich glaube nicht, dass er die Verfolgung schon aufgegeben hat.«
»Das wird sich alles noch herausstellen«, sagte Dagmar. »Wenn es ihn gibt, dann werden Sie bestimmt nicht die einzigen Zeugen bleiben, die ihn zu Gesicht bekommen werden.«
»Das hörte sich an, als würden Sie mir glauben?«
»Ja, warum sollte ich nicht?«
»Weil so etwas unmöglich ist.«
Dagmar lächelte ihm zu. »In diesem Leben und auf dieser Erde ist nichts unmöglich, Sven. Das sage ich nicht nur einfach als Worthülse dahin, das meine ich ernst.«
»Andere würden mich auslachen. Aber ich schwöre Ihnen, ich habe Ihnen da keine Lügen erzählt.«
»Das glaube ich. Aber jetzt werden wir uns mal um ihre Freundin kümmern. Ich glaube, dass es ihr noch schlechter ging als Ihnen.«
»Gut, ja. Wir kennen uns erst seit kurzem, aber so etwas hier hat sie nicht verdient.«
Sharon Ford saß am Straßenrand auf dem Boden und weinte vor sich hin. Hin und wieder schnäuzte sie ihre Nase. Erst als die beiden neben ihr standen, schaute sie auf.
Sven nahm sie in die Arme und drückte sie an sich. Er hielt ein zitterndes Bündel fest, das er küsste, und Sharon sprach immer nur von einem Ritter.
Allmählich glaubte auch Dagmar Hansen daran, dass es ihn gab. Sie stellte sich nur die Frage, wer er wirklich war. Ein längst begrabener Mensch, der seine letzte Ruhestätte – den Hügel – endlich verlassen hatte, um sich in der Welt der Lebenden umzuschauen?
Die meisten Menschen hätten darüber gelacht und es als Spinnerei abgetan. Nicht so Dagmar Hansen. Sie wusste, dass die Welt noch viele Überraschungen bereithielt und mit dem Tod nicht immer alles zu Ende sein musste.
Deshalb war ihr auch der Gedanke nicht so fremd, dass es sich bei dieser Gestalt um einen Zombie-Ritter handelte, dessen Intention es war, Angst und Schrecken zu verbreiten oder eine mörderische Rache zu nehmen, zu der er früher nicht gekommen war.
Es war wirklich weder etwas zu hören noch zu sehen. Die Straße lag in der nächtlichen Stille. Nur der späte Abendwind spielte mit dem frischen Laub der Bäume, dessen Blätter sich raschelnd aneinander bewegten.
»Ich denke, dass wir jetzt fahren sollten.«
Sven hielt Sharon fest, als er die Antwort gab. »Wir müssen nach Lahnstein.«
»Das trifft sich gut. Ich ebenfalls.«
»Okay, dann bringen Sie uns bitte in das Hotel Rheinblick, denn dort wohnt Sharon.«
»Wirklich?«
»Ja.«
»Ein Zufall. Denn dort wohne ich auch. Mein Partner und ein Freund kommen noch hinzu.«
»Das Haus gehört meiner Tante.«
»Dann ist ja alles in Butter.« Dagmar lächelte, weil sie den beiden Mut machen wollte.
»Ich habe trotzdem Angst«, flüsterte Sharon Ford.
»Das kann ich verstehen, aber das brauchen Sie nicht mehr zu haben, denn ich bekomme bald Helfer. Mein Partner und dessen Freund kennen sich auch in bestimmten Dingen sehr gut aus, und ich habe bereits Erlebnisse gehabt, über die andere Menschen nur den Kopf schütteln würden, die aber der Wahrheit entsprachen.«
Mehr sagte sie nicht.
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