Der vergessene Templer
ihnen unmöglich, darüber auch nur ein Wort zu sagen, zu sehr hielt die Erschöpfung die beiden umklammert.
Dagmar hatte das Licht der Scheinwerfer angelassen. Der bleiche Teich breitete sich vorn aus und erhellte den grauen Asphalt in einer kurzen Entfernung. Es kam niemand von oben, und es fuhr auch kein Auto hoch. Sie waren und blieben allein. Dagmar hoffte, dass dies noch eine Weile so bleiben würde.
Den Aufprall auf den harten Boden hatte sie ebenso relativ gut überstanden wie die fremde junge Frau, zu der sie jetzt ging. Sie kniete noch immer am Rand der Straße, ihr Würgen hörte sich nicht mehr so schlimm an, doch es war noch immer unmöglich, mit ihr normal zu reden. Da hatte sie bei ihrem Begleiter vielleicht mehr Glück, und so wechselte Dagmar ihren Platz.
Der Mann hatte sich inzwischen halb aufgerichtet. Er saß jetzt am Boden und schaute zu Dagmar hoch, die ihm zulächelte und hoffte, dass ihm dieses Lächeln etwas von seiner Furcht nahm, unter deren Druck er nach wie vor stand, das sah sie seinem Gesicht an.
Er holte auch jetzt schnappend Luft. Die Augen schwammen in Tränen. Sein Gesicht war völlig verschwitzt, aber er bewegte die Augen und blickte an Dagmar vorbei.
Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Möchten Sie aufstehen?«
»Ver...«, er hustete. »Ich kann es versuchen.«
»Dann bitte.«
Er umfasste ihre Hand und ließ sich hochziehen. Auf recht wackligen Beinen stand er auf der Straße, aber er fiel zum Glück nicht zusammen. Dagmar stützte ihn trotzdem ab und sorgte dafür, dass er die ersten Schritte ging. Das Ziel war ihr Wagen, dessen Dachrand einen guten Halt für ihn bot.
»Ist das okay?«
Er nickte.
»Gut, warten Sie einen Moment.«
Dagmar wollte zu der jungen Frau, die nicht mehr würgte. Sie saß jetzt auf dem Boden, kämpfte noch mit ihrem Atmen und blickte schräg in die Höhe.
»Soll ich Ihnen hochhelfen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Gut, dann lasse ich Sie sitzen, während ich zu Ihrem Mann gehe...«
Sie sagte nichts, aber sie schaute den Weg zurück, als wollte sie Dagmar Hansen ein Zeichen geben. Die deutete den Blick genau richtig. Sie schien vor einem Verfolger Angst zu haben, aber es war niemand zu sehen und zu hören.
Dagmar behielt den Blick in Erinnerung und ging wieder zu dem jungen Mann. Er war mittlerweile so weit, dass er sprechen konnte, und Dagmar war verdammt gespannt darauf, was den beiden widerfahren war.
Mit der rechten Hand umfasste er noch seinen Hals an der Vorderseite, bevor er sich bedankte, was für Dagmar Hansen überhaupt nicht wichtig war, denn sie sagte: »Hier geht es nicht um mich, sondern um Sie, mein Lieber.«
»Ja, ich bin Sven Nolte. Meine Freundin heißt Sharon Ford.« Er hatte noch immer Mühe mit dem Sprechen und brachte die Worte deshalb nur recht krächzend hervor.
Dagmar stellte auch sich vor und kam zum eigentlichen Kern ihrer Fragerei. »Sie sind geflohen, nicht wahr?«
Er nickte.
»Wovor?«
Sie hatte erwartet, eine schnelle Antwort zu bekommen, sah sich aber getäuscht, denn Sven Nolte senkte den Blick und schaute auf seine Hände, die er ineinander verschränkt hatte.
»Bitte, warum antworten Sie nicht?«
»Es war... nein... Sie würden mir sowieso nicht glauben. Ehrlich nicht. Das kann man nicht sagen.«
»Es wäre aber wichtig. Ich habe ihnen einmal geholfen, vielleicht schaffe ich es auch ein zweites Mal.«
»Gegen den Ritter?«
Nolte hatte die Antwort spontan gegeben und schrak zusammen, als hätte er zu viel gesagt.
Dagmar hatte ihn verstanden, trotzdem fragte sie: »Was haben Sie da gesagt? Ein Ritter?«
»Ja... äh... nein, vergessen Sie es. Bitte, Sie haben sich bestimmt verhört.«
»Das habe ich nicht.« Dagmar blieb hart. »Sie sind demnach von einem Ritter verfolgt worden.« Noch nahm sie es locker. »Nun ja, warum auch nicht? Hier in der Umgebung gibt es viele Burgen, und Ritter haben nun mal auf Burgen gelebt. Das gehört hier einfach zur Gegend.«
»Sie verstehen nicht!«, drängte Sven und hob seine Hände. »Sie verstehen gar nichts.«
»Dann klären Sie mich auf, bitte.«
»Nein, nein, lassen Sie uns fahren. Es ist jede Sekunde wichtig. Er kann gleich hier auftauchen, und dann sind wir verloren. Meinen Wagen hat er bereits zertrümmert.«
»Tatsächlich?«
»Mit seinem Schwert!«
Die letzte Antwort war wie ein Schrei gegeben worden, und Dagmar Hansen überlegte, ob der Mann wirklich das alles erlebt oder es sich nur eingebildet hatte. Wenn jemand sich etwas einbildete, dann
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