Der vergessene Templer
so etwas wie eine Hauptrolle spielte.
Sie hatte den Befreiungsversuch des blonden Mannes noch mitbekommen, und sie hatte auch erleben müssen, dass er misslang. Plötzlich war der Ritter aufgetaucht und hatte mit seinem Schwert zugeschlagen. Zuerst hatte sie gedacht, dass er die Klinge durch den Körper des Mannes stoßen wollte. Im letzten Augenblick hatte er sie etwas gedreht und den Blonden mit der flachen Seite zu Boden geschlagen.
Danach war alles ganz schnell gegangen. Einer ihrer Entführer hatte sie gepackt und ihr einen Schlag gegen den Hals versetzt. So etwas hatte sie zuvor in ihrem Leben noch nie erlebt. Sie fühlte sich für einen Moment paralysiert, dann war sie zusammengebrochen und in den Armen des Kerls gelandet.
Was man danach mit ihr gemacht hatte, wusste sie nicht. Richtig zu sich gekommen war sie erst, als sie auf dem Rücksitz eines Autos saß und merkte, dass ihre Hände mit Klebeband vor dem Körper gefesselt worden waren. Es hatte schon ein etwas größerer Wagen sein müssen, denn neben ihr saß die unheimliche Gestalt aus dem Hügelgrab, die noch immer ihren Helm trug, sodass niemand sah, welches Gesicht sich darunter verbarg.
Ihr Entführer lenkte den Wagen durch den nachtdunklen Ort und sagte kein Wort. Kopf und Schultern malten sich oberhalb des Sitzes als kompakte Masse ab, als hätte man dort einfach eine Figur hingesetzt, die das Fahrzeug lenkte.
Wohin die Reise ging, wusste sie nicht. Man sagte ihr auch nichts. Aber Sharon ging davon aus, dass es ein Ziel gab und dass dieses Ziel auch mit ihr zu tun hatte.
Neben ihr saß der Ritter. Er bewegte sich nicht, und Sharon hatte sich so weit wie möglich von ihm weggedrückt und versuchte auch, ihn so wenig wie möglich anzusehen. Ihr Mund war nicht geschlossen. Jeden Atemzug bekam sie mit.
Die Furcht war das stärkste Gefühl, das in ihr steckte. Angst vor der Zukunft. Warum hatte man sie entführt und aus ihrem normalen Leben herausgerissen? Gab es einen Grund? Oder war sie nur zufällig ausgesucht worden?
Der Fahrer hätte ihr vielleicht eine Antwort geben können. Ihn aber wollte sie nicht ansprechen, und so saß sie weiterhin neben der Gestalt, von der ein Geruch ausging, der sich in all den langen Jahrhunderten angesammelt hatte, in denen er in seinem Hügelgrab gelegen hatte. Es war der Geruch nach Erde, nach Feuchtigkeit und ein wenig auch nach Verwesung.
Das alles machte ihr nichts aus. Daran starb man nicht. Schlimm war für Sharon, dass sie nicht wusste, wie ihre Zukunft aussah.
Sie war auch keine Frau, die so schnell aufgab. Außerdem hatte sie eine Stimme, die sie einsetzte.
»Wo bringen Sie mich hin?«
Der Fahrer lachte sie aus.
»Bitte, warum wollen Sie mir das nicht sagen?«
»Du wirst es erleben.«
»Und warum haben Sie mich entführt?«
»Weil es sein musste.«
»Aber ich habe Ihnen nichts getan. Ich kenne Sie gar nicht. Was Sie da tun, hat keinen Sinn, verdammt! Ich bin nicht reich, und meine Eltern sind es auch nicht. Niemand würde für mich Lösegeld bezahlen. Das kann ich Ihnen gleich sagen.«
»Darum geht es nicht!«
Mit dieser Antwort hatte sie irgendwie gerechnet. Aber der Satz hatte sie auch nicht weitergebracht. Sie war einfach überfragt und hatte nicht genügend Fantasie, um sich vorstellen zu können, dass man aus anderen Gründen an ihr interessiert war.
Bevor sie das Gefühl der Verlassenheit und der Leere überkam, stellte sie noch eine Frage. »Wollen Sie mir ihren Namen sagen?«
»Ich heiße Eric.«
»Gut.« Anhand der Aussprache hatte sie bereits festgestellt, dass der Mann kein Deutscher war. Sie tippte auf einen Franzosen.
Richtig gesehen hatte sie ihren Entführer noch nicht. Auch jetzt nicht im dunklen Wagen. Ab und zu sah sie einen Teil des Gesichts im Innenspiegel, doch das war zu wenig, um sich ein vollständiges Bild machen zu können.
Der neben ihr sitzende Ritter bewegte sich nur, wenn auch der Wagen über unebene Stellen des Straßenbelags fuhr. Dann schaukelte er ebenso wie die Frau und wurde ab und zu gegen ihre Seite gestoßen.
Da der Ritter ihr nichts tat, wurde sie etwas ruhiger. Sie war jetzt in der Lage, aus dem Fenster zu schauen, denn sie wollte wissen, wohin sie fuhren.
Den Ort hatten sie zwar nicht verlassen, aber sie bewegten sich schon an dessen Rand, und sie sah den Rhein plötzlich so dicht vor sich, als bräuchte sie nur die Hand auszustrecken, um die Finger ins Wasser tauchen zu können.
Warum fuhren sie so dicht an das Wasser heran? Wollte man sie
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