Der vergessene Templer
wie ein dunkler Spiegel.
Angezogen worden war sie vom Blick der Augen, und dort schaute sie wieder hinein.
Sie hatte es bewusst getan, um sicher sein zu können, und sie erlebte den gleichen Anblick.
Da hatte sich wirklich nichts verändert. Zwei Tümpel füllten die Augen aus. Es gab keine Pupillen, keine Abgrenzung, in diesen Augen war nur die glatte und lichtlose Schwärze zu sehen, die Sharon Ford schaudern ließ.
Sie wollte es irgendwie nicht wahrhaben und sah es selbst als komisch an, aber die ganz große Furcht steckte nicht in ihr. Okay, sie fürchtete sich vor dem Anblick, aber dass er für Schreie und Panik bei ihr gesorgt hätte, davon konnte sie nicht sprechen. Sie empfand ihn beinahe als interessant, nur darüber zu reden, das schaffte sie nicht.
Da sich beide länger anschauten, schien es eine Verständigung zwischen ihnen zu geben. Mehrere Gefühle durchströmten sie. Da war die Abwehr, der Wunsch zur Flucht, doch auf der anderen Seite verspürte sie mit der unheimlichen Gestalt auch so etwas wie Mitleid.
Sie konnte nicht sagen, wie lange sie der Gestalt gegenübergesessen hatte. Das hätten Minuten sein können, aber auch Stunden. Alles war irgendwie anders geworden, weil sie sich aus ihrem Leben teilweise weggetragen fühlte.
Er atmete nicht. Er hätte als lebendiger Mensch schon längst Luft holen müssen. Bei ihm traf das nicht zu. Er war schon tot. Er hatte die Jahrhunderte in dem Hügel gelegen, war plötzlich wieder hervorgekommen – um was zu tun?
Mich zu finden?, dachte Sharon.
Als hätte Eric ihre Gedanken erraten, fing er leise an zu kichern, bevor er sprach. »Ja, meine Liebe, so ist das. Ich glaube, er mag dich. Er hat auf dich gewartet. Er scheint in Liebe zu dir entflammt zu sein. Ist das nicht wunderbar...?«
»Sie sind unmöglich.«
»Nein, das bin ich nicht. Die Dinge haben sich verändert, und das werde ich dir auch beweisen.« Er forderte Sharon auf, ihm die Hände entgegenzustrecken, was sie nur zögernd tat, weil sie nicht wusste, was er tatsächlich vorhatte. Auf sein Lächeln jedenfalls wollte sie sich nicht verlassen.
Sharon irrte sich. Er wollte ihr tatsächlich die Fessel abnehmen. Es war nicht unbedingt leicht, weil das Klebeband sehr eng saß. Er musste es erst mit den Fingerspitzen an einer Stelle lösen, danach zog er an dem braunen breiten Band, wickelte es auf, und Sharon zuckte zusammen, als es über ihre Haut ratschte, als wollte es einige Partikel davon abreißen.
Plötzlich war sie frei. Sie senkte den Kopf und schaute auf ihre Handgelenke, die brannten und sich auch gerötet hatten. Das Blut floss wieder normal, und das dabei entstehende Prickeln schien aus unzähligen Nadelstichen zu bestehen.
Trotzdem fiel es ihr schwer, die Finger zu bewegen, denn sie schienen um das Doppelte angewachsen zu sein.
Eric war zufrieden. »Ich denke, dass alles klar ist. Ihr beide werdet euch prächtig unterhalten. Gewöhnt euch aneinander wie die Schöne und das Biest.«
Sharon kannte natürlich den Titel des Stückes. Aber sie wollte nicht die Geliebte eines Monstrums sein. Innerlich schüttelte es sie, während sie nach außen hin starr auf der Sitzbank hockte.
»Er ist adelig, dein Victor von Narbonne. Du kannst stolz sein, dass er sich um dich kümmert. Schau, er hat sein Schwert zur Seite gelegt. So etwas geschieht bei ihm nur selten, und es zeigt mir, dass er nicht vorhat, dich zu töten.«
Sharon musste tief Luft holen. »Was... was... will er dann?«
Eric grinste widerlich breit. »Er mag dich. Er weiß, dass du schön bist. Das ist ihm ein Bedürfnis. Er liebt dich sogar. Er hat in dir gefunden, was er lange gesucht hat. Vielleicht hat er über die langen Jahrhunderte hinweg von dir geträumt, und nun hat sich sein Traum erfüllt. Du kannst ihn glücklich machen.«
Sharon hatte jedes Wort verstanden, aber sie weigerte sich, die Dinge zu begreifen. Sie kam sich vor wie ein Mensch, der einen heftigen Tritt in den Magen bekommen hatte, und ihr wurde plötzlich übel. Beide Hände presste sie gegen den Leib und hatte das Gefühl, dass die Kajüte sich zu drehen begann.
»Während ich das Boot lenke, wird sich Victor mit dir beschäftigen, Sharon.«
Plötzlich war das Übelsein dahin. Sharon schrak zusammen, und sie schüttelte den Kopf.
»Wir fahren?«
»Ja.«
»Wohin?« Ihre Stimme bebte vor Angst.
»In ein anderes Land. Nach Frankreich. Wir werden nur den Fluss wechseln und auf der Mosel weiterfahren. Ich will den guten Victor wieder zurück in
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