Der Vergessene
hatte. Charlie stemmte die Klappe hoch. Zwei Schritte weiter, eine Drehung nach rechts, dann stand er dem Mann im Weg.
Es lief ihm kalt den Rücken hinab, als er zu ihm hochsehen musste. Ja, er war groß, viel größer als der Durchschnitt. Er ging nicht roboterhaft, aber er strahlte etwas Unheimliches aus, mit dem Charlie nicht fertig wurde. Das hatte er noch nie zuvor erlebt. Das war alles anders geworden, und er spürte, wie sich in seinem Körper etwas so dicht zusammenzog.
Es war eine Warnung. Noch gab es Zeit genug, sich zurückzuziehen.
Es wäre vielleicht besser gewesen, aber Charlie dachte daran, dass er hier das Sagen hatte. Zudem rechnete er sogar damit, dass dieser Kuss seinen Stammgast getötet hatte. Deshalb schüttelte er den Kopf.
Kamuel verstand und blieb stehen.
Wieder griff niemand von den Gästen ein. Sie schienen unter Schock zu stehen und hatten sich gedreht, um zu sehen, wie Charlie mit der Situation fertig wurde.
»Ich glaube, dass Sie mir hier einiges zu erklären haben«, sagte er, wobei er allen Mut zusammengenommen hatte.
Kamuel überlegte einen Moment. Er rieb dabei seine Handflächen am Leder entlang. »So? Habe ich das?«
»Ja.«
»Warum?«
»Was haben Sie mit Sam Elam gemacht? Er… er… sieht aus, als wäre er tot.«
»Das ist er auch!«
Charlie wünschte, sich verhört zu haben. Das hatte er nicht. Er hatte die Worte genau verstanden, und ihm war auch klar, dass es für den Fremden keinen Grund gab, ihn anzulügen.
»T… tot…?«
»Ja, toter geht es nicht mehr.«
»Dann sind Sie ein Mörder!« stieß Charlie hervor, so laut, dass alle Gäste es hören konnten.
Kamuel lächelte knapp. Er wollte den Wirt nicht enttäuschen und gab ihm deshalb eine Antwort. »Ich weiß, wie ihr Menschen denkt und welche Gesetze ihr euch gemacht habt. Aber für uns existieren sie nicht. Der Tod gehört zum Leben. Das haben auch die Menschen mal so gesehen. Es aber wieder vergessen. Wir brauchen uns darum nicht zu kümmern, denn wir haben unsere eigenen Gesetze.«
»Ihr?« hauchte der Wirt. »Wer… wer seid ihr denn?«
»Wir sind die Vergessenen und zudem eine besondere Kaste. Es muss dir reichen.« Kamuel griff in seine Tasche und holte einen Geldschein hervor, den er auf die Theke flattern ließ. »Es wird reichen. Es ist sogar mehr als ich dir schuldig bin, Mensch. Und jetzt geh aus dem Weg, aber schnell.«
»Nein!« Charlie erschrak selbst wegen seiner überhastet abgegebenen Antwort. Sie war auch von dem Fremden verstanden worden, denn er sah den Unmut auf seinem Gesicht.
»Nein, hast du gesagt?« Ein kurzes Lachen. Die nächste Frage triefte von Spott. »Willst du mich etwa aufhalten? Du? Ein mehr als lächerlicher Mensch?«
»Dieses Lokal gehört mir«, erklärte Charlie, darauf hoffend, dass seine Stimme fest genug klang. »Ich habe hier zu sagen. Ich kann bestimmen, wen ich haben will und wen nicht. Sie haben mir erzählt, dass Sam Elam tot ist. Wenn es stimmt, dann haben Sie ihn umgebr… aagggrrrhhh…«
Der Teil des letzten Wortes war ihm buchstäblich durch den harten Griff um seinen Hals in die Kehle zurückgedrückt worden. Charlie bekam keine Luft mehr. Der andere hielt ihn eisern fest und hatte dabei seinen Daumen so gedreht, dass die Kuppe gegen den Adamsapfel drückte. Wenn es so weiterging, dann war Charlie verloren.
Kamuel hob ihn an. Es sah so leicht aus, als hätte jemand wie Charlie kaum Gewicht. Er schwebte mit beiden Beinen über dem Boden und schwebte auch noch, als sich Kamuel mit ihm drehte und ihn dann vor der Theke abstellte. Er hatte auch seine Hand vom Hals des Wirtes gelöst.
Charlie rang krampfhaft nach Luft. Vor seinen Augen löste sich die Gestalt des Mannes auf, es verschwamm in den ersten Sekunden die gesamte Umgebung. Er war froh, sich am Handlauf abstützen zu können.
Der andere ging weiter. Charlie hörte ihn, wie seine Füße den Boden berührten. Diesmal ging er nicht so leise, sondern wie ein normaler Mensch. Der wollte weg. Verschwinden. Einfach abhauen. Ein Killer, der sich seiner Sache so verdammt sicher war.
Etwas riss in Charlie entzwei. Er brüllte auf und handelte so, wie er es kaum verantworten konnte. Von hinten her sprang er Kamuel an!
Das Leder des Mantels war glatt, und Charlie hatte Mühe, sich am Mantel festzuklammern. Er wollte den anderen herumziehen, er wollte ihm zeigen, welche Kräfte in ihm steckten, doch es blieb bei der Theorie. Kamuel schüttelte sich nur, dann bewegte er seinen rechten Arm zuerst ein
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