Der verkaufte Tod
aber eine eigene, feste Freundin wollte er sich nicht zulegen. Sie war nur eine Gefahr für seine Tätigkeit.
An einem Abend, als er von Dasnagar mit dem Lob zurückkam, ein begabter Schüler zu sein, genau wie seine Nichte Vinja, fiel ihm schon beim Betreten des Hotels Bambusgarten eine sonderbare Stille auf. An der Tür hing ein Schild: ›Wegen Umbaus geschlossen‹. Tawan beherrschte das Alphabet bereits so gut, daß er das Wort zusammenbuchstabieren konnte.
Umbau? Wieso? Als er vor zwei Stunden wegging, hatte davon noch keiner ein Wort gesagt. Er klinkte die Tür auf und sah sich in der kleinen Diele um. Die Theke, über der kühn ein Schild ›Reception‹ hing und an der Wand ein eindrucksvolles Schlüsselbrett, war leer. Sangra saß sonst immer auf einem extra breiten Stuhl hinter der Theke, vor sich das aufgeschlagene Gästebuch, in das sich jeder Hotelgast mit falschem Namen eintrug, was jeder wußte, auch die kontrollierende Polizei. Jetzt war ihr Platz verwaist. Noch verblüffender war, daß alle Schlüssel am Brett hingen, also kein Zimmer vermietet war.
Ein merkwürdiges Gefühl beschlich Tawan. Er rannte in das Büro hinter der ›Reception‹ – es war leer. Er lief in die Küche – keine Sangra. Nur Stille, eine unheimliche Stille in einem Haus, das sonst von Leben erfüllt war.
Tawan raste die Treppe hinauf. Schon auf der ersten Stufe schrie er: »Vinja! Vinja! Sangra! Sangra! Wo seid ihr? Vinja!« Er stürmte in sein neu eingerichtetes Zimmer und wußte vorher, daß er es leer vorfinden würde. Die Betten waren unberührt, die Tischdecke lag gerade, es sah wie unbewohnt aus. Nur der Fernseher war eingeschaltet, aber ohne Ton, was die bedrückende Lautlosigkeit noch verstärkte.
Tawan warf sich herum und lief weiter.
Die Wohnung von Sangra. Das Wohnzimmer war leer, aber der Tisch für das Abendessen gedeckt. Das Schlafzimmer leer. Die private Küche leer. Aber auf dem Herd, zur Seite geschoben, stand eine Kasserolle mit einem Braten, eine Schüssel Salat war bereits angemacht, in einem Steinguttopf dampfte der langkörnige Reis.
Tawan rannte wieder auf den Flur hinaus. »Vinja!« brüllte er verzweifelt. Seine Stimme mußte man im ganzen Haus hören. »Vinja!« Und dann begann er, von Zimmer zu Zimmer zu laufen, riß eine Tür nach der anderen auf, sah unbenutzte oder zerwühlte Betten, roch Parfüm und Schweiß, die ihm verrieten, daß das Hotel vor kurzer Zeit noch Gäste gehabt hatte.
Im zweiten Stockwerk sah er dann rote Flecken auf dem Fußboden. Blut. Er spürte, daß sich das Entsetzen wie ein Würgeeisen um seinen Hals legte und eine grenzenlose Angst ihn fast lähmte. Die Blutstropfen auf dem Boden waren wie eine Spur – er ging ihnen nach bis zum Zimmer 212, wo sie unter der Tür verschwanden. Er zog sein Messer aus dem Gürtel und stieß die Tür auf.
Vor ihm, neben dem Bett, lag ein Mann in verkrümmter Haltung, der Kleidung nach ein reicher Inder. Das Gesicht, Tawan zugewandt, war verzerrt, fahl und blutverschmiert. Die Augen standen mit einem glasigen, leblosen Blick weit offen. In der Brust des Mannes, genau in Herzhöhe, stak eines der breiten Messer aus Sangras Küche, ein zweites Messer war ihm in die Seite gerammt worden. In der Ecke des Zimmers, neben dem Fenster, kauerten Vinja und Sangra. Diese hatte schützend beide Arme um Vinja gelegt, und Vinja drückte ihr Gesicht in Sangras riesigen Busen, als Tawan ins Zimmer stürzte.
Er starrte auf den Toten und die beiden Messer, die in seinem Körper staken. »Was … was ist denn passiert?« stotterte er. »Warum hat man ihn erstochen? Warum hockt ihr hier im Zimmer? Habt ihr die Polizei schon gerufen?« Er trat näher und sah erst jetzt, daß Vinja mit Blut bespritzt war. Mit einem Ruck riß er sie aus Sangras Armen und drückte sie an sich. »Was ist passiert?« fragte er wieder. »Mein Gott, dein Gesicht ist ja auch voller Blut!«
»Es ist ihr eigenes Blut.« Sangra schob sich an der Wand empor. »Er … hat sie blutig geschlagen.«
»Wer? Der Tote dort?«
»Ja. Er wollte sich Vinja gefügig machen. Er wollte ihren Widerstand brechen.«
»Widerstand?« Tawan atmete röchelnd aus und ein. »Er wollte –«
»Ja. Er wollte Vinja vergewaltigen.« Sangra sah an sich hinunter. Auch ihr Kleid war voller Blutspritzer. »Er kam mit einer vornehmen Dame und mietete das Zimmer für zwei Stunden, na ja, so wie immer bei meinen Gästen. Danach blieb er auf seinem Zimmer, die Dame ging allein weg. Nach einiger Zeit verlangte
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