Der verkaufte Tod
vor zehn Jahren gemachtes Testament, hinterlegt bei Rechtsanwalt Dr. Lewis Smith, Manhattan-Süd, New York, erkläre ich hiermit in allen Teilen für ungültig. Im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte verfüge ich, Edward Richard Burten, geboren am 5. September 1918 in Wichmoore/Ohio, daß meinen gesamten Besitz an Bankkonten, Firmen, Immobilien, Beteiligungen, Sach- und Kunstwerten Miss Lora White, geschiedene Flasman, geboren am 19. Mai 1948 in Greenwood/Idaho, erbt. Ich setze sie hiermit als Alleinerbin ein mit der Auflage, daß sie ein Viertel des geerbten Besitzes (Gesamtkapital) einer zu gründenden ›Burten-Stiftung zur Erforschung von Nierenerkrankungen‹ zur Verfügung stellt. Miss White soll mit einem Stimmanteil von dreißig Prozent dem Stiftungsgremium angehören. Über den Rest des Erbes kann sie frei verfügen. Ich danke ihr hiermit für ihre Liebe, die meinem Alter eine neue Sonne geschenkt hat. Gegeben am 14. April 1981 in Kalkutta/Indien und eigenhändig unterschrieben. Edward Richard Burten.«
Er legte den Füllhalter hin und lehnte sich in dem Korbsessel weit zurück. Das hätten wir, dachte er, mit sich selbst zufrieden. Lora hat es verdient. Sie ist meine große Liebe. Mag der letzte Satz im neuen Testament etwas schwülstig und kitschig klingen, das Leben ist kitschig, so wie man einen Sonnenuntergang im Pazifik nicht beschreiben kann, ohne in den Verdacht zu geraten, trivial zu sein.
Burten las sein Testament noch einmal durch, fand nichts, was er ändern oder korrigieren mußte, faltete den Briefbogen zusammen, schob ihn in das Kuvert, klebte es zu und schrieb darauf: »Zu öffnen nach meinem Tod vor Rechtsanwalt Dr. Lewis Smith, Manhattan-Süd, New York, in Gegenwart von Miss Lora White. E.R. Burten.«
Er stellte das Kuvert gegen die mit echtem Blattgold belegte Blumenvase, die jeden Morgen mit frischen Blüten gefüllt wurde, ging dann zum Bett und legte sich auf die weiße Seidendecke. Irgendwann mußte er eingeschlafen sein, denn er schrak hoch, als er die Stimme von Dr. Entali hörte. Der junge Arzt hatte sich über ihn gebeugt und ihn mehrmals angesprochen, ehe Burten aufwachte.
»Sir, es ist halb sieben«, sagte Dr. Entali. »Haben Sie gut geschlafen? Fühlen Sie sich gut?«
Burten hob den Kopf. Hinter Dr. Entali sah er Schwester Myriam und einen Pfleger; sie standen an einem Rollbett und lächelten ihn an. Es sollte ein beruhigendes Lächeln sein, aber in Burten krampfte sich plötzlich alles zusammen. »Es … es ist soweit?« fragte er mit belegter Stimme.
»Ja, Sir. Der Chef ist schon im OP. Bitte ziehen Sie Ihren Pyjama aus und legen Sie sich auf das Rollbett.«
»Und dann?«
»Wenn Sie wieder aufwachen, haben Sie eine neue Niere und sind gesund.« Dr. Entali trat zwei Schritte zurück, um Burten Platz zum Aufstehen zu machen.
Burten schwang sich aus dem Bett, sah kurz zu Schwester Myriam hinüber, sagte sich, daß sie an den Anblick nackter Männer gewöhnt war, und streifte seinen Pyjama ab. Er kletterte auf das Rollbett und wurde von dem Pfleger mit einem Laken zugedeckt.
Schwester Myriam beugte sich über ihn. »Liegen Sie bequem, Sir?« fragte sie.
Wie schön sie ist, dachte Burten. Überhaupt diese Inderinnen – sie haben einen besonderen, merkwürdigen Reiz. In ihren Augen glimmt ständig eine geheimnisvolle Glut. »Kommt es darauf noch an?« fragte er. »Was macht ihr jetzt mit mir?«
»Sie kommen in den Vorbereitungsraum und werden für die Narkose vorbereitet. Nach der ersten Injektion dämmern Sie bereits ein. Die Einleitung der richtigen Narkose – eine Intubationsnarkose – nehmen Sie schon nicht mehr wahr.«
»Wie tröstlich! Ich sehe Dr. Banda vorher nicht mehr?«
»Wohl kaum. Wenn der Chef schon steril ist, kann er den OP nicht mehr verlassen.« Dr. Entali hob wie bedauernd die Schultern. »Wollten Sie noch etwas sagen, Sir?«
»Das klingt wie: ›Sie haben das letzte Wort, Delinquent.‹«
»Sir, woher dieser plötzliche Pessimismus?«
»Ich hatte in der Nacht viel Zeit, über alles nachzudenken. Wenn man auf ein Leben wie meines zurückblickt, überfallen einen tausend Erinnerungen, vor allem an Fehler, die man gemacht hat. Ich komme mir jetzt wie ein zu Recht Verurteilter vor, der seine Strafe unter dem Chirurgenmesser antritt.«
»Sie hätten die Nacht besser für einen erholsamen Schlaf nützen sollen, Sir.«
»Das können Sie leicht sagen, Doc! Sie liegen nicht auf der Schlachtbank.«
»Wenn ich an Ihrer Stelle wäre,
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