Der verkaufte Tod
Dollar an einem Tag?«
»Innerhalb fünf Minuten.« Tawan reckte sich stolz. »Aber es war auch ein richtiger Glückstag! Das ist nicht immer so.«
»Aber es geht dir gut?«
»Sehr gut sogar.«
»Das Zimmer«, Sangra zeigte mit ihren dicken Fingern im Kreis, »müßte renoviert werden. Sieh dir die Decke an, die Wände, die Türen, das Holz – in so etwas kann doch kein Millionär leben. Aber ich habe nicht genügend Geld, um alles –«
»Ich leihe es dir, Sangra«, unterbrach Tawan sie. »Zinslos. Du wirst es zurückzahlen, sobald du kannst.«
»Dein Onkel ist ein guter, edler Mensch!« rief Sangra und hustete dann heftig. Sie hatte sich an einem Stück Fleisch verschluckt, aus lauter Begeisterung. Nicht nur ihr massiger Körper bebte, sondern auch der Tisch und die Fußbodendielen. Wenn dreihundert Pfund zu zittern beginnen, zittert die Umgebung mit. »Vinja, ich danke Shiva jeden Tag, daß ihr mein Hotel gefunden habt. Ich könnte mir gar nicht mehr denken, ohne euch zu sein.«
Nach dem Mittagessen legte sich Tawan in seinem Zimmer aufs Bett und ruhte sich etwas aus. Vinja setzte sich auf die Bettkante und streichelte ihrem Onkel über Haar, Stirn, Gesicht, Hals und Schultern. Tawan schloß die Augen, die Berührung tat ihm gut. So hat es mit ihrer Mutter auch angefangen, dachte er erschrocken. Mit Baksa, meiner Schwester. Erst ein Streicheln, wenn ich müde von den Kais kam, dann ein Anschmiegen, dann das flinke Spiel ihrer Finger, später die Wärme ihres glatthäutigen Leibes. Er schrak hoch und drückte Vinjas Hände weg.
»Ich bin heute morgen mit Sangra in einer Schule gewesen, Onkel Tawan«, sagte sie unbefangen.
Tawan schämte sich. Er hatte in das Spiel ihrer Hände mehr hineingelegt, als es wirklich war.
»Ich habe mit dem Lehrer gesprochen.«
»Und was hat der Lehrer gesagt?«
»Ich könne anfangen, hat er gesagt.«
»Wann?«
»Sofort.«
»Morgen kaufen wir erst neue Möbel, Vinja. Aber nächste Woche kannst du die Schule besuchen. Hast du gefragt, was sie kostet?«
»Sie ist umsonst. Es ist eine Schule, die die Stadt bezahlt.«
»Wir gehen übermorgen früh zum Lehrer«, sagte Tawan. Er streichelte Vinjas Gesicht, zog sie dann an den Haaren zu sich herunter und küßte ihre Stirn.
Als er sie losließ, blieb Vinja mit dem Kopf auf seiner Brust liegen. »Wer ist eigentlich mein Vater?« fragte sie plötzlich. »Du hast nie von ihm gesprochen.«
»Dein Vater ist gestorben, bevor du geboren warst. Ein Unfall, Vinja.« Auch diese Lüge hatte er sich lange überlegt. Es war eine Frage, die früher oder später gestellt werden mußte. Es galt, um Baksa einen Sonnenstrahl zu winden. Nie sollte Vinja erfahren, daß ihre Mutter ab dem neunten Lebensjahr eine Hure gewesen war und ihr Vater unbekannt, aber zum Glück ein Inder. Er hätte auch ein Weißer oder ein Japaner sein können, vor allem letzteres, denn Baksa hatte Japaner bevorzugt, weil sie, ohne zu feilschen, sehr gut zahlten.
»Dein Vater war ein guter Mann«, fuhr Tawan fort. »Er besaß einen großen Kran am Flußufer und hatte immer viel zu tun. Er liebte deine Mutter, aber sechs Wochen vor der Heirat fiel ihm eine Kiste mit Maschinenteilen auf den Kopf, weil ein Hilfsarbeiter sie nicht richtig am Kranhaken befestigt hatte. Dein Vater war sofort tot, mein Kleines. Wir waren alle sehr traurig.«
Tawan erzählte dieses Märchen so flüssig, als habe sich alles wirklich so zugetragen.
Es war selbstverständlich, daß Vinja ihm glaubte. »Ich möchte das Grab meines Vaters besuchen, Onkel Tawan«, bat sie.
»Das geht nicht. Dein Vater ist verbrannt und seine Asche in den Fluß gestreut worden. Er hat es so gewollt, er lebte vom Fluß. Aber ich kann dir die Stelle zeigen, wo wir seine Asche in das Wasser gestreut haben.«
»Gehen wir da morgen hin?«
»Wenn wir Zeit haben, Vinja.«
»Brauchen wir einen ganzen Tag für die Möbel?«
»Nein.« Tawan griff nach ihrer Hand und drückte sie. »Gut, wir gehen morgen zum Fluß, und ich zeige dir die Stelle.«
Er wußte auch schon, wo er das Märchen beenden wollte. Es gab eine Stelle am Hugli, die für eine Bestattung geeignet war, eine kleine Ausbuchtung, auf der früher Leichen verbrannt worden waren, bis die Regierung es verboten hatte. Zu nahe an den Anlegestellen, hieß die Begründung. Neuankömmlinge und fremde Gäste sollten nicht gleich mit flammenden Leichen empfangen werden. Von da an diente die Ausbuchtung als Badeplatz, wo sich abends Hunderte wuschen, bis zu den
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