Der verletzte Mensch (German Edition)
auch noch als Erklärung dafür, dass sie von ihrem Freund betrogen wurden. Offenkundig haben sie auch seinen Ansprüchen nicht genügt, und eine andere hat es besser gemacht. Das hat natürlich zur Folge, dass ihr Selbstwertgefühl noch weiter sinkt und sie noch stärker in der Opferrolle versinken. „Ich bin halt die Betrogene, das ist ganz offensichtlich mein Schicksal. Auch der Nächste wird mich sicher wieder betrügen.“ Daraus wird dann eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Das sind dann Frauen, die dreimal mit einem Alkoholiker verheiratet waren, oder die, obwohl sie äußerst kompetent in ihrem Beruf sind, immer wieder mit Partnern zusammenkommen, die sie ständig abwerten. Das kann im schlimmsten Fall in die Aufgabe aller Träume von Liebe, Zärtlichkeit und Lebensglück münden. „Liebe gibt es für mich offenbar in diesem Leben nicht. Jetzt schlage ich zurück. Ich will wenigstens das Geld der Männer und ein Kind für mich.“ Diese Frauen schließen mit ihren wahren Wünschen ab, sind sehr berechnend in ihren Beziehungen und führen Rachefeldzüge, bei denen sie zu extremer Härte fähig sind. In ihrem Innersten sind sie tief Verletzte. Ein Kind kann in so einem Fall auch zum Ersatzpartner stilisiert werden, der die Wünsche der Mutter nach Beziehung, Wärme, Nähe und Anerkennung erfüllen soll. Diese Kinder sind dann sehr beladen.
Wie Frauen aus ihren Mustern ausbrechen können
Der erste und wichtigste Schritt für Frauen, aus der Selbstverletzung zu kommen, ist, sich selbst einzugestehen, dass sie es müde sind, Dinge nur deshalb zu tun, um die Erwartungen anderer zu erfüllen. Sie realisieren dann, wie wenig Respekt sie für ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse haben. Der zweite Schritt besteht darin, sich mit aller Kraft Freiräume im Alltag freizuschaufeln, ja zu erkämpfen, um sich überhaupt wieder spüren zu lernen. In diesen Freiräumen können Frauen dann die Fähigkeit zum Träumen wieder erlernen.
„So viele Gedanken sind mir immer wieder abhandengekommen. Gedanken, die mich gestärkt haben. Weisheiten, die mir das Leben mitgegeben hat. Träume, denen ich nachgehen wollte. Werte, zu denen ich stehen wollte. Erfahrungen, die ich nicht vergessen wollte. Leistungen, auf die ich stolz war. Pläne, wie mein Leben aussehen könnte. Ideen, das Unmögliche möglich zu machen. Visionen, die meinen Weg leiten könnten. Pfeiler, auf die sich mein Leben stützt. All diese Gedanken sind mir wertvoll, ich will sie auffangen und nicht verlieren.“ Mit diesen Worten beginnt Ingrid N. ihre Gefühle nach dem endgültigen Scheitern einer Beziehung, an der sie viel zu lange festgehalten hat, in einem Tagebuch niederzuschreiben. Schreiben kann oft ein Weg zu einem neuen Selbst sein.
El Cid reitet und reitet und reitet …
Männliche Helden dürfen alles: Von Pfeilen durchbohrt, von Kugeln getroffen oder von Schwertern durchdrungen werden. Nur eines dürfen sie nicht: Zeigen, dass sie getroffen sind und Schmerzen haben. Am besten sind die Helden, die gar nicht merken, dass sie tödlich verwundet sind und einfach weiterkämpfen, bis das Blut ihr Hemd durchtränkt hat. Das unerreichbare Vorbild ist der spanische Held El Cid, der sogar noch als Toter, ans Pferd gebunden, seine Feinde besiegte. So wird man unsterblich.
Was Männer tun können
Mit diesen Vorbildern aufgewachsen, die von den Eltern oft noch bekräftigt wurden, müssen Männer im Augenblick der Verletzung vor allem eines lernen: Sich selbst zuzugestehen, dass sie verletzt wurden – und zwar nicht erst dann, wenn das Blut das Hemd durchtränkt. Das erlaubt ihnen, Gefühle wie Traurigkeit und Schmerz zuzulassen, ohne sich dabei als wehleidige Weicheier zu empfinden.
Dann können sie beginnen, sich selbst Fragen zu stellen. Zum Beispiel wenn sie von einer Frau verletzt wurden: Wie war das möglich mit mir? Warum haben meine Warnsysteme nicht funktioniert? Wollte ich sie mit meiner Großzügigkeit beeindrucken? Hat sie mein Selbstwertgefühl genau dort geschmeichelt, wo ich dafür anfällig war?
Die Auseinandersetzung mit diesen sehr schmerzhaften Fragen gibt Männern die Sicherheit, dass sie in Zukunft besser mit solchen Situationen umgehen werden. Sie könnten zum Beispiel draufkommen, dass sie durch sehr viel Bewunderung vonseiten einer attraktiven Frau korrumpierbar sind – genau diese Einsicht tut sehr weh. Denn natürlich ist es eine Kränkung des männlichen Egos, wenn man sich eingestehen muss, dass man durch Bewunderung
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