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Der verletzte Mensch (German Edition)

Der verletzte Mensch (German Edition)

Titel: Der verletzte Mensch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Salcher
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Sterbebegleiterin hat sie 2200 Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet. Für mich ist sie eine Expertin des Lebens. Nichts Menschliches ist ihr fremd. „Wie halten Sie das aus?“, wird sie oft gefragt. „Ich bekomme sehr viel zurück von meinen Patienten. Das ist auch unsere Nahrung. Es gibt einen Mann, der kommt jedes Jahr am Sterbetag seiner Frau und bringt eine Rose auf die Station.“ Das CS-Hospiz Rennweg ist ein Beispiel dafür, wie man Menschen würdig auf ihrem letzten Weg begleiten könnte. Das von der Caritas Socialis geführte Haus zeigt, dass das „Hightech“ der Medizin und der „High Touch“ der Menschlichkeit auch am Ende unseres Lebens kein Widerspruch sein müssten.
    Warum muss man eigentlich sterben, um die Versöhnung zu schaffen?
    Natürlich gibt es Patienten, bei denen die Ärzte wissen, dass eine Familie existiert und trotzdem niemand auf Besuch kommt – manchmal auch trotz des ausdrücklichen Wunsches des Patienten nicht. Es gibt aber auch viele positive Beispiele: Ein 55-jähriger Mann mit einem Lungenkarzinom lebte schon seit längerer Zeit getrennt von seiner Partnerin, mit der er eine gemeinsame Tochter hat, die nicht wirklich gut versorgt war. Eine Schwester brachte den Mann schließlich auf die Idee, noch zu heiraten. Es kam zur Hochzeit auf der Station, er war sehr euphorisch. Auch einige Verletzungen, die es in der Paarbeziehung gegeben hat, lösten sich noch auf. Der Mann konnte dann in Frieden sterben. In einem anderen Fall kamen alle vier Kinder noch zum Vater, zu dem es schon lange keinen Kontakt mehr gab. In den letzten Tagen übernachteten zwei sogar im Hospiz. Es sei allen ein Anliegen gewesen, dass es vor dem Sterben noch zu einer Versöhnung gekommen ist. Entscheidend sind nicht die Inhalte oder die Tiefe dieser letzten Begegnungen, sondern die Botschaft: Ich bin dir gut.
    Tabu Sterbehilfe
    In der Phase des Zu-Ende-Gehens erleben Menschen eine Vielfalt widersprüchlicher Gefühle nebeneinander. Das Hauptproblem der letzten Phase vor dem Tod ist der Autonomieverlust. Wenn zu einer Krebserkrankung noch eine Querschnittslähmung hinzukommt, quält einen die Frage: Werde ich jetzt im Bett liegen, bis ich sterbe? Wenn der Patient fragt, erhält er eine ehrliche Antwort, wenn er nicht fragt, dann will er es nicht wissen. Wie gehen die Ärzte mit dem heiklen Thema Sterbehilfe um, wenn dieses angesprochen wird? „Ich frage den Patienten dann, was ist das Schlimmste, das es so unerträglich macht, dass er sterben möchte? Wenn der Patient eine Hauptbeschwerde formulieren kann, arbeiten wir gemeinsam am Verbesserungswunsch. Wenn Patienten von sich aus Sterbehilfe verlangen, dann frage ich sie auch, ob sie bereit wären, selbst jemandem Sterbehilfe zu leisten, das lehnen sie dann entschieden ab“, sagt die Ärztin Annette Henry vom CS-Hospiz Rennweg in Wien.
    Die höchste Lebenskunst
    Karl und Heidi F. waren ein 50-jähriges Ehepaar, das sich an einem Silvesterabend kennengelernt hatte, als beide noch sehr jung waren. Irgendwann erfuhr Heidi, dass sie aufgrund einer unheilbaren Krankheit bald sterben müsste. In der letzten Phase ihres Lebens war sie querschnittsgelähmt. Karl und Heidi F. waren sich ihr ganzes Leben lang immer sehr nahe. Sie hatten sogar die Kraft, sich im Hospiz gemeinsam alte Fotos anzusehen, was ganz selten passiert. Die Frau hat ihrem Mann auch mehrmals gesagt, dass sie sich wünsche, dass er nach ihrem Tod eine neue Partnerin finden möge. Freigeben nennt man diesen besonderen Ausdruck der Liebe und Reife. Heidi kochte sehr gerne und als Vermächtnis schrieb sie handschriftlich ihre Rezepte in ein Kochbuch. Als sie merkte, dass es zu Ende ging, rief sie die Ärztin zu sich, sagte ihr, dass sie spüre, dass sie sehr bald sterben werde. Sie wollte ihrem geliebten Mann noch eine Widmung schreiben, habe aber nicht mehr die Kraft dazu. Sie diktiert der Ärztin den letzten Satz: „In Liebe und Dankbarkeit für unser gemeinsames Leben.“ Kurz danach verstarb sie. Der Mann, der das Kochbuch bekam, erkannte natürlich, dass die Handschrift nicht von seiner Frau stammte. Er ersuchte die Ärztin um ein Gespräch und hatte nur eine Bitte: „Ich möchte eigentlich nichts anderes, als dass Sie mir das alles noch einmal erzählen.“
    Annette Henry: „Das, was ich mit diesen beiden Menschen miterleben durfte, war höchste Lebenskunst für mich.“
    „Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde“
    Leben, Altern und Tod sind verwandte Begriffe, die wir in unserer

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