Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

zusammenzuckte.
    »Des Feindes Gift beginnt wahrlich schon zu wirken, wenn hierzulande kein Vahit mehr dem Worte eines anderen Glauben schenkt«, sagte Circendil, an Gasakan gewandt. »Was ist nur inEuch gefahren? Auch Ihr habt Nachrichten aus Mechellinde erhalten, nehme ich an!
    Ihr wisst also, dass ein Krieg ausgebrochen ist und dass erste Gruppen von Feindeskriegern das Hüggelland heimsuchen! Gidrogs auf furchterregenden Reittieren fliegen hierhin und dorthin. Wohin sie kommen, bringen sie Schrecken und den Tod! Rudenforst im Norden ist gefallen. Mechellinde und Räuschelfurt wurden angegriffen. Oder habt Ihr den Worten der Boten ebenso wenig geglaubt wie denen meines Freundes Mellow hier? Ihr versteht offenbar gar nichts vom Ernst der Lage, Herr Vogt. Und ausgerechnet den wollt Ihr in Bande schlagen lassen, der für das Hüggelland mehr getan hat als alle übrigen Landhüter zusammen? Habt Ihr nicht zugehört, als die Boten Mellows Namen nannten?«
    Gasakan Amsler kniff die Lippen zusammen.
    Er machte eine Bewegung, als wolle er sich abwenden, zögerte dann und entschloss sich doch zu einer Antwort.
    »Sie kamen nach Dreihorsten, ja. Sie erwähnten keine Namen, jedenfalls erinnere ich keine; und was sie sagten, klang reichlich durcheinander. Boten nannten sie sich, aber es waren Postler , Herr, was Euch als Fremden nichts sagen wird. Aber ein jeder hierzulande weiß, wie sie schwatzen, wenn der Tag lang ist. Meine Güte! Postler! Aber war es einfach nur dummes Gerede, mit dem sie sich wichtig machen wollten? Wohl nicht. Die Kunde, die sie brachten, war äußerst beunruhigend, auch wenn es noch so verworren klang. Krieg im Hüggelland   – das hat es nie gegeben. Immerhin, ihre Furcht schien echt. Ich schickte sie schleunigst nach Sturzbach zum nächsten Postamt, um sich dort ordnungsgemäß zu melden. Und jetzt kommt Ihr und schwatzt gleichfalls von einem Krieg, Herr   … Herr Außenländer. Sagt an, was wisst Ihr davon? Vor allem aber   – woher habt Ihr Euer Wissen? Und was treibt Euch überhaupt erst hierher? Erklärt Euch endlich! Was habt Ihr in unserem schönen Hüggelland zu schaffen? Ich müsste lügen, wollte ich sagen, Ihr seid hier erwünscht!«
    Mellow ruckte zornig vor. Seine Augen verschossen förmlich Blitze. »Gasakan Amsler, ich warne dich! Sage noch ein einziges derart unhöfliches Wort zu unserem Gast, und ich enthebe dich deines Amtes!«
    Gasakan verzog verächtlich die Mundwinkel. »Dann tu es, wenn du es nicht lassen kannst. Solange ich aber noch Gauvogt bin, ist es meine Pflicht, mich nach den Angelegenheiten von Außenländern zu erkundigen. Wie du im Übrigen sehr wohl weißt. Also, was wollt Ihr hier?«
    Circendil legte Mellow beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ich reise mit der ausdrücklichen Genehmigung von Vahogathmáhir Wredian Gimpel nach Sturzbach, um die dortige Bücherey aufzusuchen.«
    »Wir drei können das bezeugen«, sagte Finn.
    »Oh, ich bin sicher, dass ihr das könnt. Die Frage ist, weshalb ihr das tun würdet. Hat er euch in sein Netz mit eingesponnen? Wollen einmal sehen. Nun denn, Herr Mensch: Ihr kamt also den Tennlén Alam herauf?«
    »Welchen anderen als den Alten Weg hätte ich nehmen sollen?«
    Gasakan lächelte und gab sich nicht einmal Mühe zu verbergen, dass es ein falsches Lächeln war. »Dann kamt Ihr gewiss durch Rudenforst, nehme ich an.«
    »So ist es.«
    »Und euer nächstes Ziel war Mechellinde?«
    »Wo ich mit Herrn Wredian zusammentraf, ja.«
    »So seid Ihr von da aus nach Räuschelfurt aufgebrochen?« Sein Lächeln nahm einen geradezu liebenswürdigen Ausdruck an; ein Anblick, dem seine lodernden Augen Hohn sprachen.
    »Ja.«
    »Und jetzt steht Ihr hier vor mir und verbreitet Kunde von einem Krieg«, nickte der Gauvogt, als verstünde er nun den Zusammenhang. »Und weiter nach Sturzbach soll Eure bemerkenswerte Reise gehen?«
    »Wie ich Euch sagte.«
    »Wie Ihr mir sagtet, ja. Was Ihr mir indes nicht sagtet, ist ein anderes. Ihr kamt den Alten Weg herauf und am Acaeras vorbei. Und eben jener wurde von den Feinden besetzt, erzählten die Postler. Ihr kamt nach Rudenforst, und es ist genommen worden. Ihr zogt weiter nach Mechellinde, und es wurde angegriffen. Über Räuschelfurt seid Ihr geritten, und auch dort schlug der Feind zu. Zumindest behauptet Ihr das. Fällt Euch daran nicht etwas auf, Herr Außenländer? Verzeiht   – Herr Vindliandir, sollte ich besser sagen. In der Tat sprachen die Postler über Euch. Gebt Ihr nicht selbst