Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
ergriff er Smod und Vanku bei den Zügeln und ging mit den Ponys die verlassene Straße hinunter. Circendil hob Inku wieder auf seinen Arm. Er zog die Kapuze ins Gesicht und folgte seinen Freunden langsam mit Gwaeth. Der Mönch bewegte die Lippen, während er ging; und Mellow, der sich unterwegs mehrmals nach ihm umdrehte, nahm an, dass er in Amans Namen um einen Segen bat.
Gasakan gab seinen Leuten ein Zeichen. Sie wandten sich ab und schritten zügig am Broch vorbei, vermutlich dorthin, wohin sie ursprünglich unterwegs gewesen waren. Sie eilten fast zum Dorf hinaus, wo der nicht nachlassende Wind abgerissene Blätter vor sich her trieb und ihnen den Staub in die gesenkten Gesichter blies. Die Lange Hecke verschluckte sie.
Bholobhorg blieb allein mit seinem müden Pony auf der Straße zurück.
Der Rieselbach rann hinter dem letzten Haus aus einem Wäldchen hervor. Die Grabfelder begannen, wie Taram gesagt hatte, hinter den ersten Bäumen. Ein gutes Stück davon entfernt, aber immer noch im Wald gelegen, erstreckten sich die Äcker in gerodeten Lichtungen. Dort stieg das Gelände schon an, um sich an den sich westlich des Dorfes erhebenden Klippberg zu schmiegen. Die Gräber Aarienheims aber lagen noch zu ebener Erde, kaum einen Steinwurf weit von der Straße fort. Ein schmaler Weg führte unter hohen Kiefern am Rieselbach entlang und tauchte unter das Dach der Bäume ein. Wenig später gelangten sie an eine hölzerne Brücke, die links den Bach übersprang; der Weg selbst führte weiter zu einem zwischen den Stämmen nur zu ahnenden Gehöft und zu den sich daran anschließenden Feldern hinaus.
Jenseits der Brücke ließen sie die Ponys unter der Obhut Circendils stehen; Mellow und Finn aber gingen weiter, auf eine Versammlung von Vahits zu, die in einer dichten Traube ein offenes Grab umstanden.
Die umliegenden Gräber waren nach der Art der Vahits schlicht gehalten: kleine Erdhügel, nebeneinander aufgeschüttet, grasbewachsen und ohne Schmuck; nur an ihrem jeweils höchsten Punkt befand sich ein gepflanzter Kreis aus Siebensternen, deren weiße Kelche mit dem gelben Leuchten darin in jedem Frühling den Beginn neuen Lebens verkündeten. Der Siebenstern war den Vahits aus demselben Grunde heilig, aus dem ihnen die Zahl sieben bedeutsam erschien; und sie pflanzten ihn allein auf ihren Gräbern. Obwohl sie Blumen in ihren Wohnstuben grundsätzlich liebten, schnitten sie niemals diejenigen der siebenblättrigen Blüten.
Das für Finns Mutter bestimmte offene Grab bildete das Ende einer langen Reihe von grünen Buckeln; und jetzt steckten anjeder der vier nackten Ecken der Aldakévata, der Grube, lange Stangen, auf denen tönerne Gefäße die Flammen des Todes über die Köpfe der Lebenden emporhielten. Nach Harzen duftende Öle verbrannten darin – sie verbreiteten einen Geruch, der sich wie ein Tuch über den Totenacker legte.
Am schmalen Kopfende des Grabes stand eine Weihesprecherin in ihrem langen, bis zum Boden reichenden, weißen Gewand; und eben, als Finn und Mellow hinzutraten, breitete die Frau die Arme aus und stimmte mit weithin hörbarer Stimme das Klagelied Cardh Heden an, mit dem der Geist der Verstorbenen von allen kringirdischen Verpflichtungen losgelöst wurde. Es war eine einfache, herzergreifende Melodie, die sich sieben Mal vollständig wiederholte; mitten in der achten Strophe brach die Weihesprecherin ihren Gesang so plötzlich ab wie das Leben, das nun in Amafilia Fokklin zu einem jähen Ende gekommen war. Stille senkte sich über den Grabeshain. Nur das Öl in den Tonfackeln zischte leise.
Der Trauerkreis setzte sich aus den in Aarienheim ansässigen Vahits zusammen und einigen, die von außerhalb gekommen waren. Die ganze Dorfgemeinschaft war erschienen, um einer der Ihren die letzte Ehre zu erweisen; in vorderster Reihe standen die Angehörigen. Natürlich waren die Taubers und ihre Anverwandten in großer Zahl vertreten: Hámlat und Walnutia und deren Kinder, Finns Muhmen, Ewerdine, Amadine und Fionwen, die letztgenannte mit einem Bündel auf dem Arm, sowie deren Brüder, Finns Oheime Ewerdarg, Fiongar und Bardogar, samt ihren Frauen und Ehemännern und allen Tauberkindern; auch Obold Stelzfuß stand dort, der Mann von Amadine.
Eine kleine, gebeugte, graue Gestalt, die Finn jetzt den Rücken zukehrte und die er auf den ersten Blick nicht einmal erkannte, zog gleichwohl wie von selbst alle Aufmerksamkeit auf sich: Furgo saß am Fußende des Grabes in einem eigens für ihn
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