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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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den Bordrand.
    Der flache Untergrund war weich und nachgiebig, aber nicht so schlammig, wie Finn erwartet hatte. Er kletterte über einen querliegenden Erlenast und watete, sich am Bootsrand festhaltend, nach vorn. Gemeinsam zogen sie den Weidling an Land, nahmen ihre Sachen heraus und schauten sich um.
    Zu ihrer Rechten erstreckten sich die Marschen der Auwiesen nicht mehr allzu weit: zwei oder drei Steinwürfe, dann kam verwitterter Karst. Ein paar einzelne Felsen hatte die Mürmel im Laufe der Zeiten aus einem Hügel herausgewaschen; sie dräuten wie graue, wackelige Zähne krumm und schief in den schwarzen Himmel. Der Fluss wand sich um ihre im Wasser watenden Füße. Er war hier von Moosen und Flechten überwuchert und von raschelndem Schilf umstanden. Weiter landeinwärts, aber immer noch rechts von ihnen, bildeten Kalksteinhöhen einen zusammengewachsenen, mehr als doppelt brochhohen Grat, der erst mit Büschen, dann mit windschiefen Kiefern gekrönt war. Flussabwärts, zu ihrer Linken, blieb das Gelände eben und wurde immer sumpfiger, bis sich das Ried in einer Fläche von trüben Tümpeln und modrigen Löchern verlor, zwischen denen Tafelblattdickichte wuchsen und Schneeballsträucher.
    »Wir müssen weiter«, drängte Finn. »Längs des Grates, aber etwas mehr links herüber.« Er deutete in Richtung des schweigenden Waldes, der mit der Nachtschwärze verschmolz.
    Giran wuchtete sich die Lehmtrage auf die Achsel. Die drei anderen Vahits schulterten ihre Mistgabeln und packten die Laternen, die Finn seltsam überflüssig erschienen, da es nicht geraten war, sie zu entzünden. Dann gingen sie, Finn folgend, über das harte Binsenkraut dahin, das ihre Schritte nicht annähernd dämpfte, sondern, beinahe wie Schneeharsch knirschend, unter ihren Füßen umknickte und knackend zerbrach.
    Die Krüppelkiefer auf ihrer winzigen Insel zu finden, war schwieriger, als Finn gedacht hatte.
    Vom Fluss her kommend sahen sie hunderte dieser Bäume vor sich, die dürren, winkenden Händen gleich aus dem Bodenwuchsen. Viele standen einzeln und das Licht der Sterne war spärlich. Finn wurde unruhig und hätte am liebsten laut nach Tallia gerufen.
    Nach hundert Klaftern sah er endlich den verbrannten Baum, darunter etwas wie zwei kauernde Schatten. Im selben Moment sagte Giran: »Hier stinkt’s. Aber wie.«
    Er hatte Recht. Noch immer hing ein Rest von Aschegeruch über dem Ried, vermischt mit dem öligen Gestank, den das Feuer von Ulúrcrum hinterließ, sobald es sich selbst verzehrt hatte: ein übler kalter Schmauch, der nass und kohlig war und in der Luft klebte wie ein Gespinst.
    »Wartet«, bat Finn, »ich will erst sehen, ob   …« Ob die Luft rein ist, hatte er sagen wollen. »Ob alles in Ordnung ist«, verbesserte er sich. »Tallia soll sich nicht erschrecken.«
    Er huschte um den nächsten Busch und rannte geduckt auf die Riedinsel zu, die längst keine Insel mehr war, sondern nur noch ein kleiner Buckel mit darunter hervorlugenden und sich in die Luft reckenden Wurzeln.
    Das sie nach dem Guss umgebende Wasser war versickert, aber der Boden war noch feucht, und zurückgeblieben war nur nasses, weithin verbranntes Gras. Tallia saß still neben dem Baum und wandte dem Fluss und damit ihnen den Rücken zu. Sie starrte in die Richtung, in die Finn gegangen war.
    Als sie seine dumpfen Schritte auf dem abgebrannten Gras hörte, fuhr sie herum, Glimfáins Dolch wie ein Schwert mit beiden Händen haltend, die Spitze zitterte. Dann erkannte sie ihn, ließ die Klinge fallen und stürzte sich in seine Arme.
    »Oh Finn«, flüsterte sie an seinem Ohr, »was bin ich froh, dich zu sehen. Für einen Moment dachte ich, der Ledir sei zurück.«
    »Tallia!« Er drückte sie fester an sich als je zuvor. Dann schob er sie ein Stück zurück. »Der Ledir! Hat er sich noch einmal gezeigt?«
    »Wenn ja, dann nicht mir. Aber die Zeit verging nicht, und jelänger du fort warst, desto mehr Sorgen habe ich mir um dich gemacht.«
    »Es ist alles gut«, sagte er und winkte den anderen. »Herr Abhro und die Seinen bringen Hilfe. Wie geht es Glimfáin?«
    »Schlecht, mein junger Vahatir«, kam es da unter dem Mantel hervor.
    Finn blickte erstaunt auf und kniete sich neben den Dwarg. »Welch ein Glück! Du bist wieder wach! Du musst große Schmerzen haben. Wirst du gehen können?«
    Glimfáin versuchte ein Lächeln, das ihm misslang. »Ja. Ja. Und nein. Wer sind deine Begleiter?«
    Die drei Schmiede waren derweil nähergetreten, zögernd gar, als

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