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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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flüssigem Gold; doch an ihren Rändern röteten sie sich, als flösse Blut unter ihnen hervor, ehe der Abend kam und alles Licht verlöschte.
    Im Tauberhaus wurden indes alle übrigen Lampen angezündet und das Abendbrot eingenommen. Wie schon bei seinen früheren Besuchen in Aarienheim hatte Finn auch jetzt den Eindruck, als reihe sich in diesem Haus immerzu eine Mahlzeit an die nächste; ehe er sich’s versah, fand er sich erneut neben Hámlat und Walnutia wieder, umgeben von Stimmengewirr, Schüsseln empfangend und weiterreichend und wie von selbst in einen endlosen Strom von Fragen und Antworten hineingezogen; und zu seinen Füßen knurpschte Inku voll Wonne an etwas Fleischigem herum, das Wilhag wiederum von Nachbar Rohmag besorgt hatte.
    Finn saß mit dem Rücken zum Raum hin und Wilhag gegenüber. Über die Schultern seines Vetters hatte er eines der vier Fenster im Blick, die zum Sturz hinausgingen; ermattet und mit einem Anflug von Müdigkeit nippte er an seinem Becher und starrte in die Dunkelheit hinaus. Er dachte nach.
    Alles Mögliche war ihm schon den ganzen Tag über im Kopfherumgegangen. Eine Frage beschäftigte ihn neben allem, was er tat und sagte, besonders: wie es mit seinem Vater weitergehen sollte.
    Auch wenn er sich schwer tat, dies anzuerkennen, so war eines doch gewiss: Furgo Fokklin, der Meister von Fokklinhand, war zweifelsohne krank, und zwar weitaus schwerer erkrankt, als Finn dies zunächst geglaubt hatte. Immer bedenklicher erschien ihm sein eigener früherer Plan, den Vater mit sich zurück nach Moorreet zu nehmen. Finn ging im Geiste alle denkbaren Möglichkeiten durch, und immer wieder landete er bei derselben Frage: Hatte er überhaupt eine Wahl? Auf Dauer konnte sein Vater nicht bei den Taubers bleiben. Oder doch? Nein. Furgo brauchte Hilfe; er brauchte jemanden, der sich in den kommenden Wochen beständig seiner annahm, und das wollte und konnte Finn seinen Verwandten nicht länger zumuten. Das aber bedeutete: Er selbst würde sich um seinen Vater kümmern müssen, jetzt, da Mama tot war.
    Doch gerade das war ihm unmöglich.
    Da war außerdem die Werkstatt, um die er sich anstelle Furgos würde kümmern müssen. Abbado war zweifelsohne ein tüchtiger Geselle, aber eben nur das: ein Geselle, kein Meister.
    Nein, schalt er sich im nächsten Augenblick, das war überhaupt nicht mehr von Belang und entsprach einem früheren Denken; einem, das vor den Gidrogs, das vor Saisárasars Erscheinen gegolten hatte.
    Innerhalb der nächsten Wochen würde Furgos Lebenswerk sowieso zusammenstürzen wie ein Kartenhaus. Niemand mehr würde die Güte von Fokklinhandwaren zu schätzen wissen. Wer Angst um sein eigen Hab und Gut hatte, wer um sein Leben fürchten musste, wer von früh bis spät auf den Straßen Tod und Blut und Tränen sah, der führte anderes im Sinn als farbige Tinten und sorgfältig geschöpftes Papier.
    Die Aufträge würden abreißen, erkannte Finn mit bestürzender Hellsichtigkeit. Die Kundschaft würde fernbleiben, die Gesellenebenso. Sie würden sich um ihre eigenen Familien kümmern und nicht länger zur Arbeit oder zum Einkauf in der Werkstatt erscheinen.
    Die Lieferungen würden ausbleiben, so wie schon zuvor das Leder von Bolath, dem Lohgerber. Waren die Fokklin-eigenen Vorräte erst einmal verbraucht, würde es keinen Nachschub mehr geben.
    Und wozu auch? Die Vahits würden ihre Heller für die schnell teurer werdenden Lebensmittel ausgeben müssen, nicht für Papier, überlegte Finn. Fokklinhand-Erzeugnisse brauchte niemand, um durch den Winter zu kommen. Oder um sich vor den Gidrogs zu retten. Es sei denn, dachte er in einem Anflug von Häme, sie hätten vor, in Mengen Gnadengesuche an den einäugigen Besatzer des Hüggellandes zu schreiben: Zu Händen des ungnädigen Herrn Simorgh Saisárasar, am Alten Turm, Obergau.
    Kurzum: die goldenen Zeiten von Fokklinhand waren unwiderruflich vorbei. Die Werkstatt würde binnen weniger Wochen verwaisen.
    Ob mit Furgos tatkräftigem Beistand oder ohne ihn   – ein baldiges Ende war abzusehen. Eine Tintnerey zu unterhalten, war ein Friedensgeschäft, keines, das in Kriegszeiten gedeihen konnte.
    Davon abgesehen fragte sich Finn, ob die Werkstatt und ihr Haus oder das ganze Brada Moorreet zu dieser Stunde, da sie hier im Warmen und Trocknen saßen, überhaupt noch stand. Ja, er wusste nicht einmal, ob es Reisenden derzeit noch möglich war, auch nur die Räuschelfurt zu überqueren. Oder ob nicht sogar ganz Mechellinde

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