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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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inzwischen längst ein Opfer der Feuer von Ulúrcrum geworden war. Ein stinkender Aschenort, eine geschwärzte Brandinsel inmitten der Marschen, über der allenfalls die Krähen kreisten.
    Was sollte sein Vater also in Moorreet? Von den Schmerzen einmal völlig abgesehen, die eine holprige Wagenreise für den verletzten Vahit bedeuten würde.
    Und er würde seinen Vater allein lassen müssen, falls er mit Circendil ginge. Allein? Mit einem verletzten Bein? Unmöglich.
    Pflicht wallte in ihm auf und traf auf Gegenpflicht. Was zählte mehr?
    Angesichts der Hilfe, die er Circendil versprochen hatte.
    Angesichts des verheerenden Krieges, der heraufzog.
    Angesichts   – fast hätte er in seiner Verzweiflung hell aufgelacht   – ihres aus schierem Wahn geborenen Unterfangens, drei Königreiche retten oder zumindest warnen zu wollen?
    Was zählte mehr?
    Die Sohnespflicht oder das, was er für sich als die wahre Treuepflicht eines jeden aufrechten Vahits verstand: das Hüggelland und seine Bewohner vor dem drohenden Unheil, so weit es nur irgend ging, zu bewahren?
    Aber wenn es wirklich ein Wahn ist, dachte er, warum es dann tun?
    Wenn es so lächerlich aussichtslos ist, weshalb es überhaupt versuchen?
    Was können wir drei, Circendil, Mellow und ich, schon groß bewirken? Und ist es nicht eigentlich die Aufgabe vieler anderer, sich um das Wohl und Wehe ihres Volkes zu kümmern: der Schöffen, des Bürgermeisters, der Gauvogte und Landhüter?
    Er kannte die Antwort in seinem Herzen, noch ehe er sie sich eingestand. Denn die Gesichter von Bholobhorg, von Gesslo und Gasakan schwirrten an ihm vorbei, und Finn war klar, sie alle würden versagen.
    Weil sie gefangen sind in einem nun schon siebenhundert Jahre währenden Traum!, dachte er. Einem Traum von Sicherheit und vorhersagbarer Verlässlichkeit. Sie sind gefangen in der Annahme, das Hüggelland und alles, was sie kannten, habe auf ewig Bestand; und nichts von außerhalb könne etwas daran verändern. Doch die Wahrheit war anders und umso bitterer: Sie selbst vermögen sich nicht zu ändern! , erkannte Finn.
    Die wahre Gefahr bestand im Inneren. Was gestern war, dassollte auch morgen sein. Verlässlich. Vorhersagbar. Aber das würde es nicht. Nie wieder.
    Doch nur wenige, kaum mehr als eine Handvoll Vahits wie Mellow, Sahaso und Kampo, wie Wredian Gimpel und Ludowig Gurler und vielleicht auch Wilhag, wollten diese Wahrheit auch nur an sich heranlassen.
    Alle anderen weigerten sich zu hören, was ihren Traum beenden könnte, wie Gesslo oder Gasakan oder vielleicht auch Hámlat. Sie verschlossen vor jeder Form der Veränderung die Augen, käme sie auch mit Feuer und Schwert.
    Sie machten weiter wie bisher. Bis zum Geht-nicht-mehr.
    Und eben daran, erkannte Finn mit vernichtender Klarheit, würde das Hüggelland zugrunde gehen. Denn genau hier sind wir dieser Tage angelangt   – beim Geht-nicht-mehr. Gequält stöhnte er innerlich auf, als ihm die Ironie aufging: Durch die ihm zugefügte Verletzung war sein Vater gleichsam zum lebenden Abbild des kränkelnden Hüggellandes geworden. Auch Furgo hatte sein ganz eigenes Geht-nicht-mehr erreicht.
    Ich muss mit Hámlat reden, nahm er sich vor. Wir müssen lernen, die neuen Gegebenheiten anzunehmen. Auch wenn sie uns nicht gefallen   – wir haben keine Wahl. Wir müssen uns damit abfinden, das Alte loszulassen. Nur so besteht eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass unser Volk überlebt. Mochte die Aussicht auch nicht größer als die des Hasen sein, dem tödlichen Angriff des Adlers zu entgehen. Ich kann mich nicht um Papas Pflege kümmern. Nicht jetzt. Weder hier noch in Moorreet. Ich muss ihn weiterhin in der Obhut der Taubers belassen, bis   – ja, bis was? Bis die Zeiten besser wurden? Zumindest, hoffte er, bis es Papa besser geht   …
    Hufstampfen riss ihn jäh in die Gegenwart des Tauberhauses zurück. Die Gespräche am Tisch verstummten verwundert. Inku hob die Ohren und bellte. Es war der kurze, freudige Laut des Wiedererkennens.

12. KAPITEL
Nächtliche Jagd
    D RAUSSEN VOR DEN F ENSTERN verhielten zwei dampfende Ponys im Schritt. Eine hohe und eine kleine Gestalt hockten auf gekrümmten, nassen Rücken, in triefende Mäntel gehüllt, die Kapuzen eng ans Gesicht geklatscht. Finn sprang so heftig auf, dass er beinahe gestürzt wäre. Dann stürmte er vor allen anderen auf den Flur und zur Tür, um Mellow und Circendil hereinzulassen.
    »Das also sind deine Freunde«, sagte Hámlat, nachdem sich die allgemeine

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