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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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murmelte etwas von unerträglicher Hitze, nahm einen Schürhaken, zerteilte die Scheite und verringerte so die Flammen. Dann öffnete er das Fenster   – und stieß einen überraschten Ruf aus.
    »Aber da ist er ja!«
    Furgos Zimmer lag auf der sturzabgewandten Seite. Das Fenster zeigte über eine davorstehende Sitzbank zum Broch hinaus, der grau und schwer vor der Hecke aufragte. Jetzt tauchte, von der Straße kommend, eine große Gestalt aus dem Hausschatten auf, die ein dickes Pony am Zügel führte.
    »Wer ist da?«
    »Circendil. Keine Ahnung, was er da treibt.« Wilhag beugte sich aus dem Fenster und rief: »Bleib, wo du bist! Rühr dich nicht vom Fleck. Wir sind sofort bei dir.«
    Freudiges Gebell unter dem Fensterbrett löste Finns Starre. »Wir kommen bald zurück«, rief er Fionwen zu; dann lief er dem vorauseilenden Wilhag den Flur entlang hinterher.
    Inku sprang Finn um die Füße und weckte mit seinem Gekläff vermutlich die letzten noch schlafenden Nachbarn. Der Medhir band das Pony soeben an einen Pfahl vor dem Broch, als sie um die Ecke bogen.
    »Wo bist du gewesen?«, fragte Finn. »Wir haben dich überall gesucht.«
    »Nicht überall, sonst hättet ihr mich gefunden. Davon abgesehen   – ich habe eine weitere deiner Pflichten übernommen, da du es wissen willst. Ich bin mit Inku ein Stück die Straße hinunterspaziert, oder vielmehr er mit mir. Da wurde er auf einmal unruhig. Er zeigte das Nahen von etwas Ungewöhnlichem an, ganz in der Art der Atruma meiner Heimat. Er hatte zweifellos etwas gewittert oder gehört. Ich lauschte ebenfalls. Und richtig   – wenig später vernahm ich Hufgetrappel. Da kam er zu meinem Erstaunen allein und herrenlos die Straße heraufgetrottet. Ich erkannte ihn gleich, und er mich wohl auch, denn er schien erleichtert zu sein. Hier habt ihr Bholobhorgs Pony.«
    »Na denn«, machte Wilhag. »Noch eine Merkwürdigkeit.«
    »Es erklärt nicht Bhobhos Verschwinden, aber es erklärt wenigstens, weshalb er zu Fuß zum Beukel floh.«
    »Nämlich?«, fragte Finn.
    »Sie wurden offensichtlich getrennt, Dumpel und Bhobho. Irgendwann auf dem Weg nach Dreihorsten verloren sie einander, nehme ich an. Dumpel kam von Süden; ich vermute, er irrte eine Weile durch die Wildnis, dann fand er glücklicherweise zur Straße und kehrte an den einzigen Ort zurück, den er hierzulande annähernd kannte   – den Broch in Aarienheim. Immerhin hat er sich hier fast einen Nachmittag aufgehalten, am Montag, dem Tag der Trauerfeier. Und du hast Recht mit deiner Merkwürdigkeit, Herr Wilhag. Seht! Dumpel trägt Bhobhos vollständigesGepäck, sogar sein Landhüterstab steckt noch am Sattel. Daher vermute ich, Dumpel ist ihm durchgegangen. Freiwillig trennt sich ein Landhüter nicht von seinem Stab.«
    »Das meinte ich nicht«, erwiderte Wilhag. »Ich wollte vielmehr sagen, hier geschehen äußerst merkwürdige Dinge, Herr Circendil. Es kommt eins zum anderen, und Dumpel gehört irgendwie dazu.«
    »Sprecht nicht in Rätseln. Was ist geschehen?«
    In aller Eile schilderte Finn seines Vaters seltsames Gebaren und Mellows befremdliches Verhalten. »Ich fürchte, der Stein, den er gestern fand, ist eine Sinyanhwe!«, schloss er.
    »Wehe! Wenn du Recht hast damit, waren wir alle mehr als nachlässig. Wo hatte ich nur meine Gedanken? Ist Furgo einstweilen in guten Händen? Dann schnell! Lasst uns Mellow finden!«
    So rasch sie konnten, eilten die drei zum Mühlbach. Sie sprangen über seine verschalten Ufer, liefen ein Stück weit dröhnend über die beidseitigen Planken und gelangten so hinter die Scheune. Inzwischen war es hell genug, sodass sie das Taubergrundstück weithin gut überschauen konnten. Sie sahen den weißgetünchten Sturzzaun, die Birke, den Bachlauf in ihrem Schatten, hörten den kleinen Wasserfall, der unter den Latten in der Tiefe verschwand, und hielten in ihrem Laufen abrupt inne.
    Die Sonne hatte sich inzwischen vollständig über die fernen Berge im Osten erhoben und blinzelte rotgolden durch die herbstlich verfärbten und sich im Winde wiegenden Birkenblätter   – ein Bild des Friedens und der Stille.
    Der beschauliche Platz indes war verlassen.
    Mellow war fort.
    »Wo immer er hin ist, er hat jedenfalls sein Gepäck mitgenommen.« Wilhag deutete auf den Birkenstamm, an dem Mellows Rucksack, seine Decke und ein oder zwei Beutel gelegen hatten.
    »Wir sind zu spät!«, sagte Circendil. »Das sieht mir ganz nach einem Aufbruch aus. Wann habt ihr Mellow zuletzt

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