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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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auf der obersten Stufe und bemerkte die beiden Vahits nicht. Oder wenn er es tat, dann kümmerte es ihn nicht. Er starrte zu den beiden Felstürmen des Beukels hinüber. Vielleicht, dachte Finn, starrt er auch in den Himmel hinauf. Mellows Hand war vorgestreckt, ein gelbliches Glimmen spielte darin, als die Sonne um den Beukel schielte. Es sah ganz so aus, als ob Mellow auf etwas wartete. Sein Mantel umflatterte ihn. Das blaue Band des Hutes wehte im Wind.
    Unter ihnen rauschten die beiden Teilbäche, als sie die hölzernen Stufen betraten. Mellow befand sich vier oder fünf Vahitlängen über ihnen. Vielleicht war das Brausen des wirbelnden Wassers zu laut oder das Flattern seines Mantels zu heftig   – er hörte oder beachtete sie jedenfalls nicht. Er schien nicht einmal damit zu rechnen, dass man ihn verfolgte. Er stand nur da und wartete.
    Finn nahm Inku auf den Arm; dann stiegen sie langsam hinauf.
    »Mellow«, sagte Finn halblaut, als sie ihn fast erreicht hatten. Und weil ihm nichts Besseres einfiel, fügte er hinzu: »Da bist du ja.« Er sah seinen Freund zusammenzucken, als hätte es einen Knall gegeben. Sah ihn sich umdrehen, das Gesicht in Abscheu und Widerwillen verzogen. Sah zugleich den Schrecken in den Augen des anderen.
    »Du!«, brach es aus Mellow hervor.
    Nur dieses eine Wort. Aber es triefte vor Hass. Inku begann leise zu knurren.
    Finn hob die Schultern und zeigte seine leere Hand. »Es wird alles gut, Mellow. Du wirst sehen   – es wird bestimmt alles gut.«
    »Naseweiser Winkelwicht!«, kam es zurück. »Was weißt denn du!«
    »Ich weiß, na, zum Beispiel, du möchtest den Stein zurückgeben, nicht wahr? Das ist auch ganz richtig, finde ich.«
    »Das findest du.«
    »Ja. Warum willst du noch warten? Ich meine, leg doch den Stein einfach hierhin, da auf die Bohlenbretter, wo man ihn gut sehen kann, und wir können nach Hause gehen. Wem immer er gehört, er wird ihn sich holen kommen, und du hast dein Werk vollauf getan. Komm, leg ihn einfach hin, und wir gehen heim.«
    »Er soll zurückgeben werden. Er muss zurückgegeben werden. Ich werde ihn zurückgeben, und niemand sonst. Niemand, verstehst du?«
    »Das verstehe ich, Mellow. Das meine ich ja. Leg ihn ab, gleich hier, gib ihn gleich hier zurück. Lass dir von deinem besten Freund raten. Gib ihn zurück.«
    Mellow nickte. Ein wölfisches Grinsen glitt über seine Züge. »Gleich hier, ja? Jetzt gleich, rätst du? Damit du ihn dir schnappen kannst, was? Ein guter Plan, ausgeheckt von einem guten Freund. Von meinem feinen, besten Freund, oh ja. Das kann ich sehen.«
    Er bleckte die Zähne, und für einen Augenblick sah er wirklich einem Fuílfrar so ähnlich, wie es ein Vahit nur konnte. Er stieß den Atem aus und schloss seine Linke fest um den bernsteingelben Schimmer. »Nun, du willst etwas, und ich gebe dir etwas. Hier hast du es!« Mit einem Schrei zog er sein Wacala blank und stürzte auf Finn zu.
    Der wich zurück, von dem plötzlichen Angriff völlig überrascht. Mellows Hieb zerschnitt nur die Luft, erreichte aber auch so sein Ziel. Finn verlor die Stufe unter seinem Fuß; er taumelte nach hinten, stieß schwer gegen Wilhag und Inku fiel aus seinem Arm. Der Welpe fiepte. Beide Vahits verloren das Gleichgewicht und wankten, ehe sie rücklings die Treppe sieben oder acht Stufen hinunterpolterten. In einem Knäuel aus Armen und Beinen landeten sie vor der ersten Stufe im feuchten Gras. Mellow eilte ihnen hinterher. Auf halber Höhe warf er sich vorwärts, hechtete mit einem gewaltigen Sprung von den Stufen herab und riss Finn von den Beinen, der sich soeben bemühte, wieder auf die Füße zu kommen. Das vorgestreckte Wacala fuhr an Finns Ohr vorbei, trennte das Ohrläppchen auf und nagelte die Kapuze bis ans Heft in den weichen Boden. Mellow rollte sich ab, nahm Anlauf und wuchtete dem sich nähernden Wilhag die aneinander gepressten Fäuste in die Magengrube. Wilhag wurde zurückgeschleudert, überschlug sich mehrmals und klappte dann zusammen wie ein Federmesser. Regungslos blieb er am Bachufer liegen. Inkus erschrecktes Bellen echote von den Felsen.
    Finns getroffene Wange glühte.
    Er spürte, wie Blut seinen Hals entlangrann. Er fühlte die metallene Kälte der Klinge an seiner rechten Wange brennen. Sein Kopf war durch die an den Boden genagelte Kapuze nahezu bewegungsunfähig. Erst, als er Mellows Wacala aus Stoff und Erdreich riss, schaffte er es, den Kopf zu heben.
    Nahm Mellow an, er hätte seine beiden Gegner besiegt? Es

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