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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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ich brauche es nicht. Denn ich werde dort sein, du indes nicht, Krötenfreund Brunnenhopser. Ich werde in Bälde dort sein, wo Gamlin Nemantéor ruht   …«
    Saisárasar sah das Erschrecken in beiden Vahitgesichtern. »Ja«, nickte er, »ich wusste es bereits. Du hattest deine Wahl, und du hast schlecht gewählt. Wie stets, wie ich hinzufügen könnte. Oh ja, ich weiß eine Menge über dich, kleiner Kolryndirknecht, der du hervorgekrochen bist aus dem moorastigen Tümpel, den du ein Dorf nennst. Kein Wunder, dass du Kröten zu Freunden suchst. Und treulos bist du obendrein. Lässt die arme kleine Kröte im Stich. Und andere ebenso. Wie sonst soll ich es verstehen, wenn du die Dame deines Herzens alleine lässt? Nun, ich werde Tallia Goldammer von dir grüßen. Gefällt dir das?«
    Finn schrie auf und wollte sich auf Saisárasar stürzen. Da fuhr dessen Schwert herab und spaltete krachend das Holz des Zaunes neben ihm.
    »So unbeherrscht«, tadelte er höhnisch. »Ja, das ist es, was dir fehlt, denke ich. Eine harte Hand, die dich beherrscht.« Wieder schlug er zu, dieses Mal auf die andere Seite, scharf an Wilhags rechter Schulter vorbei. Wie zuvor brachen die hölzernen Latten entzwei. Lautlos fielen die Bruchstücke in die schier endloseTiefe. Weißschillernd, wie flatternde Tauben, erschienen sie Finn für einen Moment. Dann waren sie in dem grausigen Abgrund verschwunden.
    »Ich denke   …«, hob Saisárasar an und lächelte, kälter als das Eis auf den höchsten Gipfeln der Khênaith Eciranth. »Ich denke, vielleicht hätte ich dich zu meinem Mund gemacht. Zu meinem Sprecher, der meinen Willen deinem Volk verkündet. Jetzt wird sich dafür dein Mund für immer schließen.   Und auch der deinige«, sagte er, an Wilhag gewandt, als sähe er ihn soeben zum ersten Mal.
    Beide Vahits wechselten einen blitzschnellen Blick. Es gab nur eine Wahl, und niemals war ihnen etwas deutlicher bewusst: Entweder sie wagten es, gegen ihn anzugehen, oder Saisárasar würde sie töten.
    Sie sprangen gleichzeitig vor, doch Saisárasar lachte nur auf. Sein Schwert hielt er mit links; jetzt ließ er es fallen und ohrfeigte beide in einer einzigen, unvorhersehbaren Bewegung. Die Schläge waren hart, und sie trafen, wie er es beabsichtigt hatte. Beide taumelten sie zurück, Wilhag, der den ersten Schlag erhalten hatte, eine Winzigkeit früher als Finn.
    Wilhag verlor das Gleichgewicht, geriet mit dem hinteren Fuß ins Leere und trat fehl. Er rutschte von der Graskante ab   … und verschwand im Abgrund. Im nächsten Augenblick fühlte Finn Wilhags Hand an seinem Knöchel. Sein eigenes Bein wurde ihm unter dem Leib weggezogen. Er fiel vornüber, rutschte mit der Wange am Grase längs, wurde immer weiter zum Rand gezogen, klammerte sich zuletzt an eine der senkrecht vom Zaunpfahl herabhängenden, vom Schwerthieb zersplitterten Latten fest.
    Seine Hand fand Halt, das ja   – aber unter Schmerzen. Ein Splitter bohrte sich in seine Handfläche, als sein ganzes Gewicht an dem Lattenrest hing; und dieses wiederum haftete an einem einzigen, schon halb herausgerissenen Nagel. Finns Füße baumelten über der meilenweiten Tiefe, und an seinem linken Knöchel klammerte sich Wilhag fest. Ihr gemeinsamer Schwung ließ ihnhin und her pendeln, oder es war der Wind, der Wilhag in Bewegung versetzte, der frische, kühle Morgenwind, der ungehindert über die Kante der Linvahogath strich.
    Saisárasars schwerer Kopf erschien in Finns Blickfeld, der und ein schrecklicher Stiefel.
    »Armseliges Gewürm«, hörten sie ihn sagen. Dann hob sich der Stiefel und begann, gegen die Latte zu drücken, an der hilflos beider Leben hing. Ächzend löste sich der Nagel aus dem Holm. Finn starrte in das Gesicht über ihm, sah das hämische Lächeln und erschauderte. Leise knirschte der Nagel. Ein Ruck. Dann war es vorbei. Kopfüber stürzte Finn über Wilhags Rücken in die blendende Sonne hinein.
    Er fiel und fiel   – in einen Abgrund hinab, der mehr als eine Meile senkrecht unter ihm dräute wie der aufgerissene Rachen einer ganzen Welt. Die Kante des Sturzes wirbelte davon. Sie verschwand in einem anderen Leben.
    Er hörte sich selber schreien, lauter als Wilhag, ehe beiden die Angst die Kehle verschloss.
    Da war kein Halten mehr.
    Kein Klammern.
    Kein Fassen nach irgendwas.
    Blaue Himmel tanzten.
    Sie drehten einen Reigen, mit dunklen Wäldern, trunken taumelnd. Rasender Rotfels, scharfe Schründe, die auf ihn zujagten und zugleich vor ihm flohen.
    Immer

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