Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
überschlug sich und war bereits des Todes, als er noch rücklings über den Hofsand rutschte, die hilflos ausschlagenden Hufe in die Höhe gestreckt. In Finn riss etwas entzwei. Wie durch einen langen Tunnelgang blickte er, und nahm nichts anderes mehr wahr als Smods brechende Augen, sah das Flehen, ein schwaches Leuchten, ein letztes Aufflackern von Liebe.
Dann schlug der Kampfeslärm wieder über Finn zusammen.Der Tunnel verschwand. Finn fühlte nichts und alles zugleich. Hätte er sich sehen können, wäre er vor sich selbst erschrocken – mit schreckgeweitetem Blick und dennoch erfüllt von unbändiger Wut, verdreckt und blutverschmiert, so stand er da, verwachsen mit seinem Schwert.
Mit einem unmöglich wiederzugebenden Laut sprang er über Smods Leichnam hinweg. Mit einer Behändigkeit, die ihm von irgendwoher erwuchs, unterlief er den Schwertstreich, der ihm selber galt; dann trieb er Maúrgin bis ans Heft in den Unterleib des aus seiner Armwunde heftig blutenden Feindes. Erst, als dieser fiel, erkannte er Tuluk in ihm.
Schweratmend zog er Maúrgin zurück, und er schwankte: Der üble Dunst des Todes und die Pestilenz hervorquellender Eingeweide krampften seinen Magen zusammen. Er kauerte und würgte. Ein Axtschwert wirbelte jaulend über seinem Kopf heran und brachte einem weiteren Gidrog den unverzüglichen Tod, ehe dieser Wilhag erreichte. Circendil nickte nach diesem abermaligen Meisterwurf, warf Finn einen hoffnungslosen Blick zu und stürzte sich in eine neue Gruppe Criargreiter.
»Wil! Hier herüber!« Finn begann zu laufen und winkte Wilhag herbei. Auch Vanku hatte sich von seinem Halteriemen befreit. Ihn gedachte Finn zu besteigen und zusammen mit Wilhag geradenwegs durchzubrechen; zu Fuß war eine Flucht von vorne herein aussichtslos.
Da fühlte sich Finn angehoben und zu Boden geschmettert. Ein Netz hatte sich in seinem Fuß verfangen und ihn zu Fall gebracht. Ein schuppiges, zottelbesetztes Gidroggesicht beugte sich über ihn – es war Udrak, und von seinen Hauerzähnen troff Speichel. Da kam etwas Buntfleckiges angeflogen und verbiss sich in der Kehle dieses alten Feindes vom Acaeras. Inku!
Udrak schrie unwillig auf. Mit einer seiner Pranken wischte er den Welpen von seinem Hals wie ein lästiges Insekt. Er warf das quiekende, kreischende Fellbündel zu Boden und hob seinen Fuß. Einen entsetzlichen Moment lang erinnerte sich Finnan eine ähnliche Sohle, die über ihm geschwebt hatte. Er wollte auffahren, doch das Netz behinderte ihn. Und sein Arm war trotz Maúrgins Klinge nicht lang genug, um eingreifen zu können! Der Gidrogfuß schmetterte herab. Er zermalmte den kleinen Hundekopf mit einem hässlich platzenden Geräusch zu Brei. Das Quieken verstummte jäh.
Finns Herz setzte aus. Erst Mellow, dann sein Vater, darauf Smod … und nun auch noch Inku. Von allen Unschuldigen der Kleinste, und er hatte sich für Finn geopfert. Mit jener selbstlosen Atruma-Liebe, die seine noch so junge Hundeseele umso heftiger fühlte. Gefühlt hatte. Es war zu viel. In Finn brachen alle Dämme. Er lachte, er weinte, er wimmerte, jedes für sich und alles zugleich. Wie im Wahn warf er eine Handvoll Sand in das geifernde Gesicht über ihm. Zwei Schnitte, während derer Udrak blind umhertastete. Das Netz fiel ab. Der Fuß kam frei. Ein blitzschnell nach oben fahrender Stich, und die Kehle Udraks klaffte auf und badete Finn in einem Schwall dunklen Gidrogblutes.
Alles um ihn herum stank; er schüttelte sich, während sein jammerndes Kichern abbrach und einer Leere wich, die ihn zu übermannen drohte.
» Ich will erwachen aus diesem Traum!«, flehte ein Teil seines Ichs, während ein anderer Teil ihn schalt: »Das ist kein Traum, du Tölpel von einem Narren. Eile dich, oder du wirst ereilt!«
Er kam irgendwie auf die Füße, ergriff Wilhag bei der Hand, hieb wie Circendil zuvor zu beiden Seiten und stand plötzlich neben Vankus bebender Flanke. Feuerlohen schossen aus dem brennenden Stall nebenan und spiegelten sich in den überall vergossenen Flächen von nassem Rot. Finn steckte Maúrgin in die Scheide.
Nur nicht denken!, ermahnte er sich. Aber flieh! Flieh!
Er schaffte es in den Sattel, ergatterte von irgendwoher die Zügel, zog Wilhag hinter sich hinauf. Einen halben Atemzug sah er sich um, suchte eine Lücke in dem wild flackernden und um sich tanzenden Bild, das vor seinen Augen wogte. Zu seinem allergrößten Entsetzen erblickte er Circendil, der ihnen nicht gefolgt war, was Finn als
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