Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
zurückgelassen hatte, war ebenfalls erloschen. Dennoch herrschte ein in matte Streifen zerschnittenes Halbdunkel: ein trübes Licht, das durch die Bretterspalten fiel. Frau Amagatas Einspänner wirkte darin wie ein gestreifter Käfer aus einer längst vergangenen, unwirtlichen Zeit, der die Deichselgabel vorgestreckt hielt wie zwei Fühler, die das Scheunentor betasteten. Und eben, als Finn dieses dachte, krähte der Hahn zum zweiten Mal.
In der Wasserflasche schwappte noch ein Rest. Tallia hielt den Kopf des Dwargen, während dieser langsam und bis zur Neige trank. Erschöpft ließ er sich danach zurück auf sein durchschwitztes Kissen fallen.
»Du solltest auch etwas essen, Glimfáin«, sagte Finn, dessen Magen soeben hörbar knurrte. Wann hatte er zum letzten Mal Nahrung zu sich genommen? »Wir alle sollten das. Wir werden Abhro wecken und ihn fragen, ob er etwas erübrigen kann. Zuvor hole ich dir frisches Wasser. Brauchst du irgendetwas außerdem?«
Der Dwarg zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte kaum merklich den Kopf. »Danke, mein kleiner Vahatir«, kam es fast tonlos. »Ich brauche nichts. Aber du wirst etwas brauchen. Wir alle sind in Gefahr. Wo ist mein Dolch? Er war … ist er verloren?«
»Nein, du hast ihn nicht eingebüßt«, beruhigte Finn ihn. »Hier ist er.«
Finn langte neben die Liegestatt, wo sich Glimfáins Waffe und sein Helm befanden. Er drückte dem Verletzten die Scheide samt der Klinge in die Hand. Wieder wunderte er sich, wie leicht sich beides anfühlte. Sein ihm von den Rohrsangs geschenktes Wacala wog schwerer, obwohl es zwei Handbreit kürzer und einen Fingerbreit schmaler war.
»Ah«, sagte Glimfáin erleichtert. Er presste die Dolchscheide an sein Herz. Die silberne Kette des Gehänges daran klimperte leise. »Das ist Maúrgin , musst du wissen. Es ist eine berühmte Klinge, die schon in mancher Schlacht getragen wurde. Einst gehörte sie Rumóin, den sie den Bartretter nannten; und Nemgláin schuf sie, der auch Nárbláin und Tyrfinganfertigte, wodurch er später Téorlins Vertrauen verlor. Aber ich will dich nicht mit der Geschichte meines Volkes langweilen, mein kleiner Freund . Ich will dir vielmehr ein Geheimnis anvertrauen.«
Finn nickte aufmerksam.
Das alles kam nicht etwa flüssig heraus, sondern langsam und wurde immer wieder von Husten und dem Ringen nach Atem unterbrochen.
»So höre«, fuhr er nach einer weiteren Pause fort. »Als Nemgláin einstmals diese Klinge nach langen Nächten erstmals ins Sonnenlicht trug, da verkündete er, Maúrgin sauge ihre Kraft aus der Morgensonne und könne in des Tages frühster Stunde auch dann noch den Sieg bringen, wenn alles andere versagt. Der Dolch wurde später Rumóin geschenkt, als Dank dafür, dass er Nórinias Schlüssel rettete, und seitdem trug er ihn. Er und die anderen, die bei ihm waren …« Der Blick des Dwargen schien in eine nur für ihn sichtbare Vergangenheit zu entgleiten und esfolgte eine lange Pause, bevor er fortfuhr. »Diese Klinge jedenfalls hat die acht vor dem sicheren Tode errettet, und das mehrmals. Immerhin stieg Rumóin an Nórins Seite und mit Maúrgin gegürtet tief nach Ulúrlim hinein, das Fárins Grab wurde. Und er wie auch die sieben anderen kehrten wieder, und das sagt eine ganze Menge, wie ich finde.
Diese Waffe, mein junger Vahatir, ist alt, wahrlich alt, selbst nach den Maßstäben der Gidwargim, und auch das im besten Sinne – denn geschmiedet wurde Maúrgin in Naubrimirs jüngeren Tagen, als das Mark der Erde noch frisch und ihr summend Lied noch stark und dröhnend war. Und ihr Salz war damals noch voller Licht und ihre Erze volltönend und hart. Huorhm, ja.
Na, jedenfalls, hier siehst du die meisterliche Arbeit eines Gidwargumkhaulums, eines Dwargenschmiedes, wie du sagen würdest; und nicht viele kommen ihr gleich heutzutage. Und so, wie sie ihre Kraft aus der Röte der Morgensonne schöpft, so darf sie nur in des Tages frühester Stunde weitergegeben werden; alles andere brächte schlimmstes Unglück über den, der sie unbefugt nähme, und es träfe ihn noch am selbigen Tag.« Er hielt inne; seine Hände zitterten. »Nun, siehe, eben jene Stunde bricht an. Es dämmert, der Tag beginnt. Finn Fokklin, nimm du Maúrgin nun, ich schenke sie dir! Hüte sie wohl, und sie wird dich behüten, solange du sie trägst.«
»Das kann ich nicht annehmen!«, entfuhr es Finn.
»Kannst du es nicht oder willst du es nicht?«
»Ob ich es will? Das fragst du? Natürlich will
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