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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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Krähen mehr zu sehen. Selbst die Grillen zirpten nur noch vereinzelt, doch auf seltsame Weise überlaut; der Abendhimmel nahm unter rasch vorübereilenden hohen Schleiern eine ungesunde, bleiern-gelbliche Farbe an.
    Dann sank die Eintrübung herab und wurde dichter. Gerade, als sie vor dem Gasthof zum Rauschenden Adler hielten, öffnetenschwere, grauschwarze Wolkentürme mit krachenden Schlägen ihre Schleusen. Es blitzte und donnerte ohrenbetäubend. Wie in Wellen rollte es in einem fort über dem Dorf, als rumpelten tausende von Wagenrädern gleichzeitig über Mechellinde hinweg. Das Gewitter drehte sich im Kreis über den Dächern. Stundenlang schüttete es wie aus Kübeln, während sie hinter den beschlagenen Buckelscheiben der Gaststube saßen und bei einem frühen Abendbrot auf ein Nachlassen des Sturzregens warteten. Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, sehr zum Ärger Circendils, dessen Gesicht immer länger und länger wurde, je heftiger der Regen pladderte.
    Der Marktplatz floss im Nu über. Er wurde zu einem zerprasselten See, mit einem einsamen Brunnen als Insel in seiner Mitte. An eine Weiterreise war unter diesen Umständen vorerst nicht zu denken. Darüber vermochte auch das vorzügliche Adlerbräu nicht hinwegzutrösten, das ihnen Beuzam Weihe anbot, der Wirt des Rauschenden Adlers . Es sei ein kräftiges Bier, warnte Mellow mit Recht, und sie tranken nur wenig.
    Eine merklich klamme Kühle drang durch Türspalte und Ritzen, und schnell waren sie dankbar für das im Kamin flackernde Feuer in ihrem Rücken; sie selbst saßen nach ihrem Essen nur da und starrten ungeduldig hinaus.
    Sie vermochten kaum miteinander zu reden, von einzelnen Bemerkungen abgesehen. Ein jeder Donnerknall schleppte ein knatterndes Nachrollen mit sich, das klang, als würden Felsen über ihren Köpfen zermalmt. Der Regen trommelte dazu auf das Vordach und klatschte wütend gegen die Scheiben. Dann frischte der Wind auf und trieb Schlieren von Wasser und Wirbel von braunem Laub über den Marktplatz. Bei jedem Blitz huschte ein kreidebleiches Flackern über ihre Gesichter. Unter dem Tisch drückte Tallia Finns Hand, er spürte deutlich, wie sie mehr als einmal beim hereinbrechenden Donnerschlag zusammenzuckte.
    Darüber wurde es dunkler und dunkler.
    Als der Regen endlich nachließ, aber immer noch nicht bereitwar, sich geschlagen zu geben, war die Sonne längst untergegangen.
    Ein nasser, grauer Abend brach allzuschnell herein. Die Wolken, von nachjagenden Winden zerrissen, entschwanden nach Westen. Ein zunehmender Halbmond hing jenseits der letzten Umwölkung am Himmel wie ein Stück vergessener, ranziger Käse. Er tauchte alles in ein kraftloses, gelbliches Licht, das alle Farben verfälschte und ihre Gesichter wie mit Wachs übergossen aussehen ließ. Noch tröpfelte es, aber es war immerhin ein Ende abzusehen. Ein kaltes obendrein, denn von der Wärme des Tages war nichts mehr geblieben.
    Kampo und Sahaso unternahmen einen Erkundungsgang.
    Die Straßen, berichteten sie kurz darauf, hätten sich in wadentiefe Schlammbahnen verwandelt. »Aber seitwärts der Wege könnt ihr reiten«, sagten sie und rieben sich die kalten Hände. »Falls ihr die Nacht nicht besser hierbleiben wollt.«
    Sie beratschlagten sich kurz und sagten dann, sie wollten nicht.
    Circendil zog es mit aller Macht nach Sturzbach. Auch Finn wollte noch ein paar Meilen zurücklegen, solange es irgend möglich war und der Mond noch genügend Helligkeit spendete. »Und ich nicht vor Müdigkeit aus dem Sattel falle«, setzte er hinzu.
    Finn war in der Tat müde wie selten zuvor; dennoch wurde er zugleich zunehmend unruhiger wegen der Geschichte mit der Tassel seiner Mutter und dem, was ihr möglicherweise zugestoßen war. Er machte sich mehr Sorgen, als er sich eingestehen wollte. Aber er erwähnte es mit keinem Wort.
    Beuzam Weihe kam hinter seinem Tresen hervor, beugte sich vor und äugte aus dem Fenster. »Na ja« meinte er. »Ihr müsst es schließlich wissen. Für knappe drei Stunden steht der Mond noch am Himmel.«
    »Falls ihr also mehr als einen Fußbreit weit sehen könnt«, erklärte der Adlerwirt, der häufiger in Geschäften zwischen den beiden Dörfern pendelte, »und sofern ihr vorsichtig reitet, sokönnt ihr es mit etwas Glück heute noch zumindest bis Räuschelfurt schaffen.«
    Wie weit das wäre, fragte der Mönch.
    Ein Ritt von fünfzehn Meilen, meinte Mellow, der den Weg gleichfalls gut kannte.
    »Wir werden sehen«, sagte Finn. »Das

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