Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
dir nicht länger behagt. Und du hast ferner die Wünsche Herrn Finns zu achten und selbst die meinigen, des Wuochts oder Mönches aus Vindland. Oder was immer ich bin. Falls du mich verstehst.«
Bhobho senkte den Blick. Selbst er erkannte die Spitze, und er wusste nur zu gut: Diese hatte er mehr als verdient.
»Einverstanden«, sagte er schnell. »Ihr werdet es nicht bereuen. Wart nicht ihr gerade diejenigen, die, glaube ich, zu besonderer Vorsicht riefen? Zu mehreren sind wir sicherer, oder? Ja nun, hier habt ihr mich. Zwei Augen mehr zum Sehen, zwei Hände mehr zum Kämpfen, falls es darauf ankommt.«
»Kämpfen? Einen Mund mehr zum Mampfen, wolltest du wohl sagen.« Mellow nahm Vanku ein paar Schritte zurück und stellte sich Bhobho in den Weg.
»Na, was denn?«, begehrte der auf. »Zur Zeit soll es ein ziemlich schlechtes Reisen auf einsamen Straßen sein, hörte ich; zumal des Nachts, und es soll nicht nur am Wetter liegen.«
»Das also hast du gehört.«
»Ja. Das und anderes. Gewisse Gestalten treiben sich außerhalb der Dörfer rum, kaum dass es dunkel wird. Gidroggesindel wohl vor allem. Hab zwar noch keinen mit eigenen Augen gesehen, aber das soll beileibe nichts heißen. Ihr kennt euch dafür ja umso besser mit denen aus. Ganz Mechellinde spricht ja jetzt von nichts anderem mehr. Huh, Gidrogs , sagen sie, und zittern vor Angst.« Er schnaubte belustigt und schüttelte seinen Stab. »Jedenfalls ist’s nett, dass ihr Herrn Gesslos Empfehlung Folge leistet und mich mitnehmt und alles. Nun also vorwärts! Wenn Ihr soweit seid, Herr Medhir? – Ich soll voraus? Aber gern. Ich habe die Ehre!«
Bholobhorg wartete ihr Einverständnis nicht einmal ab, sondern schnalzte nur zufrieden. Er wendete sein Pony und setzte es langsam in Bewegung.
Als er aus dem Schatten kam, feixte er über sein nasses Antlitz ins trübe Mondlicht hinein und nickte dabei gefällig wie jemand, der einen Sieg errungen hatte.
Ohne sich weiter um seine neuen Reisegefährten zu kümmern, ritt der Tanninger Landhüter an ihrer Spitze zum Brunnen und dicht daran vorbei.
Beim hell erleuchteten Landhüterhaus bog er in die Straße der Schneider ab. Tiefe Pfützen standen hier, die im Widerschein der Fenster schimmerten. Sie wechselten einige Worte mit den Vahits, die bei der Barrikade Wache standen und ihnen den Weg freiräumten. Dann folgten sie Bhobhos vorausreitender unförmiger Gestalt auf seinem dicken Pony, einer wie der andere nahezu sprachlos vor Verblüffung und Ärger.
7. KAPITEL
In Räuschelfurt
S IE RITTEN AN K REKO Reihers niedergebranntem Broch vorbei und wurden von den zusätzlichen Wachen am östlichen Zauntor herausgelassen.
Nur ein einziger der dort im Abendwind frierenden Vahits, und der Älteste noch dazu, hielt einen Bogen geschultert. Finn erkannte in ihm Istvan Löffler, einen der drei oder vier Obergauer Jäger und Waldpfleger; Istvan war früher einmal Landhüter gewesen und viel im Hüggelland herumgekommen. Jetzt hatte er abermals den Hut genommen. Weißhaarig und knorrig wie eine Moorreiche stand er da und blickte trotzig wie ein Jüngling über den Zaun. Dabei hatte er längst ein Alter erreicht, in dem andere ihren Tee am wärmenden Feuer schlürften und nur noch von vergangenen Zeiten schwärmten.
Mellow hielt kurz bei ihm an und schärfte Istvan ein, sich schleunigst zu Sahasos und Kampos Verfügung zu stellen: Alle Jäger würden dringend als Gwaethir-Ausbilder gebraucht, anstatt an Toren ihren Dienst zu versehen. Er musste laut dabei sprechen und einiges zwei Mal sagen. Istvans Augen waren weitaus besser als seine Ohren. Aber dann hatte der alte Vahit es begriffen, raffte seinen Köcher auf und schlurfte grummelnd zurück ins Dorf.
Hinter den Reitern verschlossen die anderen Wachen das Dornenheckentor wieder. Einer der Vahits winkte und rief ihnen zum Abschied fröhlich Gute Reise! hinterher. Circendil seufzte und murmelte etwas in seinen Bart. Finn, der mit Mellow ihre Nachhut bildete, glaubte dabei die Worte allesamt und Waldkrakeeler herauszuhören. Bholobhorg setzte von alledem unbekümmertseinen Weg fort. Inzwischen ritt er ihnen ein gutes Stück voran, hochaufgerichtet und so würdevoll, wie es ihm nur möglich war; er wollte wohl den Eindruck erwecken, dass er der Anführer und sie die Schar seines Gefolges waren.
Mellow warf einen letzten Blick über die Schulter, als widerstrebe es ihm plötzlich, Mechellinde zu verlassen. Dann gab er sich einen Ruck und lenkte Vanku an Smods Seite.
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