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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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Schon bald wand er sich im Sattel hin und her. Er schnaufte, rückte seinen Hut zurecht, der völlig richtig saß, kniff die Lippen zusammen und wiegte in einem fort den Kopf.
    »Na schön!«, stieß er nach einer Weile hervor. »Das ist anscheinend die große Frage des Abends. Ich werd einfach nicht schlau daraus. Was denkt er sich eigentlich dabei?«
    »Einen Twelter für deine Gedanken«, antwortete Finn und lachte leise. »Du grübelst wieder, falls du es nicht bemerkst. Nun sag schon: Wer denkt sich was wobei? Von wem sprichst du überhaupt? Von Istvan?«
    »Nein, natürlich nicht. Er ist für sein Alter noch ganz gut beieinander, wenn er auch kaum noch etwas hört. Nein, ich meine die merkwürdigen Umtriebe unserer Obergauer Landhüterey.«
    »Aha. Und wen meinst du da im Besonderen? Bhobho? Oder Herrn Gesslo?«
    »Gute Frage. Den einen wie den anderen, fürchte ich. Bhobho ist nicht gerade das, was ich einen fähigen Landhüter nennen würde, aber er gehört nun mal dazu. Wir sind nie Freunde geworden, aber wir kamen miteinander aus. Doch plötzlich ist da diese Feindseligkeit mir gegenüber, die ich nicht verstehe. Und Gesslo? Hier stehe ich erst richtig vor einem Rätsel. Du weißt, ich habe ihn gemocht – und ja, auch ein wenig bewundert. Ich meine, er ist der Gauvogt, ein ehrenwerter Vahit und alles. Er hat mir eine Menge beigebracht. Er nennt ein gerüttelt Maß an Verstand sein Eigen und kann damit umgehen. Er war streng und ein bisschen in die Vorschriften verliebt, aber nie ungerecht. Doch jetzt? Es ist, als stünde ich einem Fremden, einem gänzlich anderen Gesslogegenüber. Einem Gauvogt, den ich plötzlich anzweifle. Einem Anführer der Landhüter, Finn, der vorschnell, unüberlegt und voller Vorurteile handelt und der obendrein noch ungerecht ist.«
    »Du hast neidisch und begriffsstutzig vergessen.«
    »Ja, zumindest verkennt er in großen Teilen die Lage. Vor wenigen Wochen erst nannte er mich seinen besten Mann. Doch jetzt? Er straft mich wegen nichts mit Stallausmisten, hört mir kaum zu und führt sich auf, als seien ein verloren gegangener Stab und ein entflogener Hut der Gipfel aller Verfehlungen. Der drohende Untergang des Hügellandes scheint ihm nicht mehr als ein Hirngespinst zu sein. Kein Wort der Anerkennung; stattdessen beinahe greifbarer Hass und kaum zurückgehaltene Wut. Was habe ich Herrn Gesslo getan, Finn? War ich wirklich nicht gut genug?«
    »Nun hör schon auf! Rede dir bloß kein schlechtes Gewissen ein. Du hast weit mehr getan als einem gewöhnlichen Vahit möglich gewesen wäre. Bis Rudenforst warst du Gesslos bester Mann. Nach deiner Rückkehr aber warst du der beste aller Landhüter, ihn selber eingeschlossen. Und eben das ist es vermutlich, was ihn so ärgert. Nicht alle Lehrer mögen es, wenn ihre Schüler sie übertreffen.«
    »Vielleicht ist das der Grund. Nur wieso hat er sich von einem redlichen Gauvogt, zu dem ich aufsehen konnte, in einen zänkischen Ränkespieler verwandelt?«
    »Ränkespieler? Glaubst du etwa nicht an den Auftrag von Herrn Gesslo?«
    »Ich weiß nicht. Ja und nein. Bhobho würde nichts ohne einen solchen tun, nehme ich an. Aber   …«
    Die letzten Worte hörte Circendil, der langsamer geritten war, um auf die beiden Nachzügler zu warten.
    »Oh, ich bin mir sicher, Bhobho hat einen Auftrag erhalten«, sagte der Medhir. »Nur glaube ich nicht, dass Gesslo ihn deswegen in den Untergau schickt.«
    »Sondern?«, fragte Mellow.
    »Ich kann mich selbstverständlich irren, aber ich meine, euer Freund Bhobho ist als Spitzel unterwegs, oder ich habe nie einen zuvor gesehen. Zunächst mal: Gesslo traut mir nicht, so viel ist gewiss. Und ein anderes ist offenbar geworden: Obwohl du beim Acaeras Alamdil noch eine hohe Meinung von deinem Gauvogt hattest, traut er auch dir nicht, Mellow. Nicht mehr, oder er hat es nie getan. Es tut mir leid, wenn ich dein Vertrauen in Herrn Gesslo nachträglich zerstöre. Ich habe ihn sogar im Verdacht, er fürchtet dich seit deinem Eintritt bei den Landhütern insgeheim.«
    »Mich?«
    »Ja. Denke einen Schritt weiter, und du kommst von selber drauf. Herr Gesslo brauchte nicht lange, um deine überlegene Pfiffigkeit zu erkennen. Er fürchtete schnell, du würdest ihm über kurz oder lang seinen Platz streitig machen. So stellte sich ihm die Aufgabe, dich möglichst klein zu halten, solange du bei ihm Dienst tatest. Deine erfolgreiche Rückkehr aus Rudenforst war ihm daher ein schmerzlicher Dorn im Auge. Dich öffentlich

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