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Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Hauptgalerie«, erklärte er und fügte in der Mitte zwei konzentrische Rechtecke hinzu. »Die Sicherheitswand und das Eßzimmer. Es hat zwei Türen.« Er markierte sie mit diagonalen Strichen, eine in der Mitte einer der kurzen Wände, die andere am gegenüberliegenden Ende einer der langen Wände. »Der Raum ist rund sechs Meter lang und knapp viereinhalb Meter breit. Fast alles besteht aus unbehandeltem Mahagoni- und Zedernholz. Keine Kabel.«
    »Sie meinen, die Kabel sind unsichtbar verlegt«, sagte Corbett.
    »Nein, im Innern des Eßzimmers gibt es keinerlei Stromanschluß. Was Atmosphäre und Authentizität anbelangt, ist Dolan ein Perfektionist. Ich schätze, er wird Kerzen oder alte Öllampen benutzen.«
    Als Shan den Arm ausstreckte, zitterte für einen Momentseine Hand. Er bat um den Bleistift des Mannes und ergänzte die Skizze mit schnellen Strichen. »Hier ein eingebauter Schauschrank für Keramiken«, sagte er und zeichnete an der kurzen türlosen Wand einen Kasten ein. Dann deutete er einen Halbkreis an. »Eine gewölbte Decke, bemalt wie der Himmel.« Schließlich fügte er zu beiden Seiten der Türen kleine Kreise ein. »Vier schmale Säulen, rot lackiert.«
    Der Mann war sichtlich verärgert. »Was soll der Blödsinn? Wenn Sie alles bereits wissen, wieso fragen Sie mich noch? Ja, stimmt genau. Aber denken Sie daran, ich habe Ihnen nichts erzählt, falls Dolan fragen sollte. Und wie, zum Teufel, konnten Sie …«
    Der Mann verstummte verwirrt, denn er sah, daß Corbett plötzlich aufgeregt Shans Schulter packte und dann die Serviette nahm. Dolan ließ eine Kopie von Qian Longs Speisezimmer anfertigen.
    Fünf Minuten später bog Corbett erneut auf den Parkplatz ein, von dem aus er Shan am Vortag die Brücke gezeigt hatte, an der Abigail Morgan gestorben war. Er stieg aus und ging bis zum Rand der Klippe. »Dieser Scheißkerl hat sie ermordet, weil er ein Wandgemälde haben wollte, das es auf der Welt kein zweites Mal gibt. Wahrscheinlich will er sich eine Drachenrobe überziehen und dann da drinnen auf irgendeinem Thron hocken und verzückt sein Reich betrachten. Und falls ich hiervon auch nur eine Silbe offiziell verlauten lasse, wird das Gemälde für die nächsten Jahre spurlos verschwinden.«
    »Das FBI kann doch sicherlich …«
    Corbett ignorierte ihn. »Aber wir wissen, daß er und Ming die Diebstähle inszeniert haben, und er weiß, daß wir es wissen. Yao kann in China weiterhin Druck ausüben. Ich kann genügend Beweise vorlegen, um die Zahlung der Versicherungsgesellschaft zu verhindern. Man wird wegen Betrugs ermitteln. Das dürfte ihn zermürben.«
    Shan glaubte nicht daran, und er bezweifelte, daß Corbett es glaubte. »Ich brauche das Stück Papier, das mir den Rückflug ermöglicht«, sagte er.
    »Auf keinen Fall. Ich kann Sie hier nicht entbehren.«
    »Sie verstehen nicht. Ich muß dort sein, wenn er eintrifft.«
    Corbett drehte sich zu ihm um. »Wer trifft ein? Wo?«
    Shan erwiderte den Blick ruhig. »Ich muß die Hügelleute warnen und dafür sorgen, daß Dawa, Lokesh und Liya einen sicheren Ort aufsuchen. Dolan reist nach Lhadrung.«
    »Unmöglich.«
    »Es tut mir leid«, sagte Shan.
    »Leid?«
    »Er hat sein Fresko bereits, es ist irgendwo versteckt. Nun will er unbedingt den Schatz des amban haben. Männer wie er suchen sich immer gleich ein neues Ziel. Kaum hatten Lu und Khan das Geheimfach im Haus des Kaisers entdeckt, wurde Dolans Handeln nur noch von diesem einen Wunsch beseelt. Der Schatz des Qian Long ist absolut einzigartig. So geheim, so alt, so unmittelbar mit den Kaisern verbunden. Dolan hätte sich nie träumen lassen, je auf etwas Vergleichbares zu stoßen.«
    »Er weiß doch gar nicht, wo er suchen soll.«
    »Doch, jetzt weiß er es. Ich habe es ihm verraten, indem ich sagte, das zerrissene thangka stamme aus Lhadrung. Wenn das Stoffgemälde nie von dort weggebracht wurde, hat auch der amban nie sein Kloster verlassen. Dolan hat das sofort begriffen. Bis dahin hatte er es allenfalls vermutet, aber Lu und Khan wußten nicht genau, wo sie suchen sollten, und konnten nicht mit Sicherheit feststellen, daß es tatsächlich um Zhoka geht. Dolan hat schon immer die Augen offengehalten. Das war der Grund, aus dem er Ming und dessen Feldstudien unterstützt hat, sogar die in den nördlichen Provinzen. Der amban hat den Namen seines Klosters nie genannt, um dessen Geheimnisse zu bewahren. Aber sobald Dolan die Markierungen auf der Rückseite des thangka durchschaut, wird er

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