Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorene Sohn von Tibet

Der verlorene Sohn von Tibet

Titel: Der verlorene Sohn von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
Vom Netzwerk:
Zhoka zu der illegalen Geburtstagsfeier. Sie hatten eindeutig das Sims angesteuert. Als ob jemand den ersten Trupp Soldaten abgezogen hätte, damit die anderen zum Turm kommen konnten. Und wenn dieser Ort ihnen schon vorher bekannt gewesen war, wieso hatten sie ihn nicht zerstört? Die Patrouillen in dieser Gegend trugen häufig schwarze Sprühfarbe bei sich, um alle religiösen Gemälde zu tilgen, oder Sprengstoff, um entsprechende Bauten zum Einsturz zu bringen. Shan mußte daran denken, wie der Anführer der Männer unmittelbar vor Suryas Ergreifung gezögert und sich eine Hand ans Ohr gepreßt hatte. Jemand hatte ihm über FunkAnweisungen erteilt, vermutlich aus dem Cockpit des Helikopters. Und dieser Jemand, so unglaublich das auch scheinen mochte, war auf der Suche nach dem Mönch gewesen.
    »Wir müssen uns tief in die Berge zurückziehen«, sagte Liya. »In Zhoka ist es nun zu gefährlich. Und du darfst auf keinen Fall in die Stadt, Shan. Das wäre viel zu riskant.«
    Shan wußte, daß die Patrouillen im Tal strenge Ausweiskontrollen durchführen würden. Er besaß keine Papiere und war zudem ein entflohener Strafgefangener, auf den ein Kopfgeld ausgesetzt war. Lokesh stand auf und schaute zur Sonne, die noch eine Stunde über dem Horizont stehen würde. Dann richtete sein Blick sich auf die südlichen Berge. Jara befand sich auf der nächsten Kammlinie und humpelte mit seinem verletzten Fuß vorwärts. Lokesh sah Shan an. Der nickte und bemühte sich nach Kräften, nicht allzu besorgt zu wirken.
    »Das Mädchen«, sagte Lokesh und brach ohne weitere Erklärung nach Süden auf, in die Richtung, in der sie Dawa zuletzt gesehen hatten.
    Gendun sah Liya an. »Wäre es wohl möglich, zwei Decken zu bekommen? Und etwas Proviant und Wasser?«
    »Wir bringen dich an einen Ort, an dem Vorräte gelagert sind. Es ist ganz in der Nähe. Du kannst dort übernachten«, sagte Liya.
    »Es geht nicht um mich. Die Sachen sind für Shan. Er wird die nächste Zeit in Abgeschiedenheit zubringen.«
    Liya rang sich ein Lächeln ab, als habe Gendun einen schlechten Witz gemacht.
    »Rinpoche«, wandte Shan flehentlich ein.
    Zwischen ihm und Gendun hatte es nie irgendwelche Spannungen gegeben, abgesehen von einer grundlegenden Meinungsverschiedenheit. Dieser Konflikt trat immer wieder auf, jedesmal schmerzvoller als zuvor. Nach Genduns Ansicht mußte Shan sich unbedingt in Klausur begeben, um seine innere Gottheit nicht zu vernachlässigen. Shan hingegen setzte andere Prioritäten, ganz gleich, wie entschieden Gendun sich auch dagegen verwahren mochte. Das Befinden der eigenen Gottheit würde Shan niemals so wichtig sein wie die Sicherheit der alten Lamas.
    »Laß diese Trennung nicht geschehen, Shan«, sagte Gendun und bezog sich damit nicht auf die Ereignisse des Tages, sondern auf die drohende Entfremdung von Shans innerer Gottheit. Nach Genduns Auffassung hing der Schatten von Shans früherer Inkarnation als leitender Ermittler in Peking wie ein mißgünstiger Geist über ihm und verführte ihn dazu, sich um unwichtige Dinge zu kümmern. Begriffe wie Logik oder Ursache und Wirkung waren für den Lama lediglich Fußangeln auf dem Weg zur geistigen Erleuchtung.
    »Rinpoche, Liya muß dich morgen früh zurück nach Yerpa bringen«, sagte Shan und bedauerte die Worte noch im selben Moment. Sie klangen viel zu fordernd.
    »Ich werde bei Tagesanbruch an dem neuen chorten sein«, sagte Gendun. »Nicht nur morgen, sondern auch am Tag danach. Es müssen Worte gesprochen werden. Seit vielen Jahren hat dort niemand die schuldige Ehrerbietung erwiesen.«
    »Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte Shan und blickte in das alte Gesicht, das glatt wie ein Kiesel war.
    »Surya hätte bleiben sollen. Nun werde ich seine Stelle einnehmen.«
    »In den Ruinen?«
    »Im gompa «, sagte Gendun, als würde das Kloster noch immer existieren.
    »Jemand ist dort gestorben.«
    »Hunderte sind dort gestorben.«
    »Das kann doch bestimmt noch warten.«
    »Nein, kann es nicht. Genausowenig wie deine Kontemplation.«
    Shan schaute in Richtung Zhoka. Dort würden Wunder geschehen, hatte Lokesh gesagt. Shan aber wußte nur eines mit Sicherheit: Es hatte sich dort als Folge dunkler Geheimnisse ein Todesfall ereignet, dessen Nachhall noch längst nicht verklungen war.
    »Versprich es mir, Shan«, sagte der Lama, und die Pein in seinem Blick versetzte Shan auch diesmal wieder einen schmerzhaften Stich.
    »Falls ich all dies hätte vorhersehen können«, erwiderte

Weitere Kostenlose Bücher