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Der verlorene Troll

Der verlorene Troll

Titel: Der verlorene Troll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Coleman Finlay
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höchsten von ihnen kaum höher als ein ausgewachsener Troll, womit sie allerdings immer noch zu den größten Pflanzen der Gegend zählten. Doch weil der Wind ständig umbarmherzig an ihnen zerrte und zog, wuchsen sie krumm und verdreht, die nach Westen gewandte Seite nackt und bloß, die zerfledderten Kronen nach Osten geneigt. In stürmischen Nächten waren die Windböen so stark, dass sie einen Troll umpusten und ihn über die Sümpfe wirbeln konnten.
    Windy beobachtete ihren Sohn. Seine bleiche Haut leuchtete im Licht des sichelförmigen Monds. Er war ebenfalls ein Geschöpf aus den Tälern. Sie fragte sich, welchen Schaden es ihm zufügen wurde, so weit oben im Land der Trolle aufzuwachsen, und ob er irgendwann ebenso verformt wäre wie diese Zedern.
    Ihre Mutter kletterte den Felsen empor, setzte sich neben sie und zeigte auf die Bäume. »Weißt du, wie die da aussehen?«
    Ein Trollvogel ließ sich auf Windys Rücken nieder und pickte Nissen aus ihrer Haut. Sie blieb still sitzen, um ihn nicht stören. »Sie riechen wie die großen Zedern, die weiter unten in den Tälern wachsen. Ich habe eben daran gedacht.«
    »Nein, das meine ich nicht.« Windys Mutter streckte ihren langen Arm aus, packte einen Brombeerzweig und zupfte noch mehr von den saftigen, blauschwarzen Beeren ab. »Sie sehen aus wie die stechenden Blätter.«
    Windy wusste nicht, wovon ihre Mutter sprach. »Was für stechende Blätter?«
    »Früher gab es hier weit mehr Trolle als heute. Einige von uns lebten damals in den südlichen Bergen. Auch ich, als ich noch ein junges Mädchen war. Damals gab es in den Bergen im Süden auch Menschen, Schwarzhaare. Es waren zu viele, um sie zu zählen oder zu verjagen, aber sie ließen uns in Ruhe, und wir gingen ihnen aus dem Weg.«
    Windy hatte das alles schon oft genug gehört und war nicht sehr interessiert an den Kindheitsgeschichten ihrer Mutter. Sie rutschte unruhig hin und her. »Made hat auch schwarzes Haar.«
    Ihre Mutter grunzte. »Lass mich ausreden. Dann zogen andere Menschen in die Gegend, ähnlich wie jene, die in die tieferen Täler kamen. Die zwei Horden versammelten sich und standen sich in großen Rudeln gegenüber. Wie Direwölfe auf der einen Seite und kleine Großzahnlöwen auf der anderen.«
    Diese Geschichte kannte Windy nicht. Der Trollvogel schwirrte zwischen ihre Schulterblätter. Ihre Haut zuckte.
    »Diese zwei Rudel, sie hatten diese stechenden Blätter… «
    »Scharfe Blätter aus glänzendem Metall?«, fragte Windy.
    »Die auch.« Ihre Mutter zeichnete einen dreiseitigen Umriss mit den Fingern. »Aber sie hatten auch diese großen Blätter, eines an jedem Ast, in leuchtenden Farben wie Herbstlaub. Wir schlichen uns aus den Bergen, um sie zu beobachten. Eines Morgens, noch ehe die Sonne aufging, hörten wir ein Geräusch wie das Trompeten eines Mammuts. Den ganzen Tag über versteckten wir uns in unseren Höhlen, aber wir konnten nicht schlafen, weil wir wussten, dass etwas nicht stimmte. Als wir nachts wieder zu dem Feld kamen, war es von Aas übersät. Dort lagen mehr tote Männer als Beeren an diesen Büschen; der Geruch war so durchdringend, dass einem der Bauch anschwoll, als würde er gleich platzen. Die stechenden Blätter lagen in Fetzen zerrissen überall herum und flatterten im Wind.« Sie zeigte auf die Zedern. »Sie sahen genauso aus wie diese Bäume dort.«
    Windy wünschte, sie hätte diese Geschichte nie gehört. »Und?«
    »Menschen haben das getan.« Ihre Mutter zeigte mit dem Finger auf Made, der mit den Mädchen herumtollte. »Und danach kamen die Sieger - die Neuankömmlinge - in die hohen Regionen und jagten uns. Wir zogen nach Norden, und wieder kamen die Menschen in die tieferen Täler, und wieder jagten sie uns.«
    »Und?«
    Das Gesicht ihrer Mutter verhärtete sich zu einem strengen Knoten. »Und? Du bringst eins von ihnen hierher und willst, dass es unter uns lebt. Es sollte getötet werden.«
    »Nein!« Windy sprang auf, die Fäuste geballt. Der Trollvogel zwitscherte und flatterte davon in die Nacht.
    Ihre Mutter starrte sie an, ihr Blick so kalt wie Eis. Sie war das Oberhaupt der Horde, nach vielen Abstimmungen, die Anführerin. »Du hörst mir zu. Du musst dieses Vieh loswerden. Dann könntest du noch einmal ein eigenes Kind bekommen, und wir wollen bei Finsternis und Frost hoffen, dass es ein Junge wird, der sich mit diesen jungen Mädchen da unten paaren kann, sobald sie groß genug sind.«
    »Mutter… «
    »Ich bin noch nicht fertig!« Windys

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