Der verlorene Troll
bestand aus gestampftem Lehm. In einer Ecke entdeckte er Steine und scharrte einige davon aus dem Boden, bis er auf einen großen, flachen Stein mit einer scharfen Kante stieß. Wenn er ein Loch in den Boden kratzte und die Knochen darin vergrub, würden sie auch dann noch im Dunkeln liegen, wenn die Stämme längst eingestürzt und verrottet waren.
Er hob den Stein hoch über den Kopf und schlug ihn in den Dreck. Die Kante biss sich in die Erde. Er arbeitete ohne nachzudenken und vergaß in dem angenehm schmerzhaften Zusammenspiel von Muskeln und Gelenken alles um sich herum, bis er eine flache Grube in den Boden gemeißelt hatte.
Er hob den Schädel auf. Sein Daumen passte genau unter die knochige Stirnwulst. In der anderen Hand hielt er den winzigen Unterkiefer.
»Wer bist du?«, fragte er laut. Er dachte daran, wie Windy ihn einst gefunden und an Kindes statt angenommen hatte - dieser kleine Troll war offensichtlich von einer Menschenmutter in Obhut genommen worden. »Wie bist du hierhergekommen?«
Er hielt Schädel und Kiefer aneinander und klappte den Mund auf und zu. Die Zähne stießen klackernd aufeinander, aber sein kleines Gegenüber schwieg.
Vorsichtig legte Made den Schädel in die Grube und machte sich daran, die langen Knochen der Arme und Beine aufzusammeln. Wenigstens hatten keine großen Aasfresser die Knochen aufgebrochen, um das Mark auszusaugen. Die knubbeligen Rückenknochen waren leicht zu finden, aber die Rippen sowie die Hand- und Fußknochen waren entweder von kleineren Fleischfressern oder durch die Launen der Zeit überall in der Höhle verstreut worden. Made wühlte durch die Erde und die Wurzeln, fest entschlossen, alles so gut es ging aufzusammeln. An einigen Knochen hingen lange, rote Haarsträhnen. Kein Troll hatte so lange Haare, noch dazu in einer solchen Farbe, daher zupfte er sie ab, ehe er die Knochen in die Grube legte.
Je länger er arbeitete, desto mehr vermied er jeden Gedanken an die Frau. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er begehrte sie noch immer. Aber er verstand die Menschen nicht, wusste nicht, wie er einer von ihnen sein konnte, wusste nicht, warum er erwartet hatte, dass es so einfach sein würde, ihr Interesse an ihm zu wecken.
Mit dem Fuß schob er die Erde wieder in die Grube und wälzte dann einen flachen Stein darüber, um die Knochen zu bedecken. Dann seufzte er.
Er gestattete sich, auch die anderen Skelette anzuschauen. Als Geschöpfe des Tages zogen sie es vielleicht vor, dass ihre Seelen sich im Sonnenlicht aufhielten. Da er nicht wusste, auf welche Weise er ihnen seinen Respekt bezeugen sollte, beschloss er, sie liegenzulassen.
In einem der Brustkörbe glitzerte etwas. Made bückte sich. Zwei winzige, edelsteinförmige Gebilde, glatt wie Flusssteine, aber von einem merkwürdigen inneren Licht erhellt, hingen an angelaufenen Silberfäden um den Hals des Skeletts. Made dachte sofort an die Frau und den blauen Edelstein, der an ihrem Hals baumelte. Er nahm den Schädel vom Gerippe, damit er die beiden Silberfäden herausholen konnte, löste sie vom Brustkorb, hängte sie sich um den Hals und schob sie unter die Scheide, in der sein Messer stak. Die Kettchen lagen kühl an seinem Hals, aber die glänzenden Steine strahlten eine schwache Hitze aus, die auf seiner nackten Brust pulsierte. Nun besaß er etwas, das ihn mehr wie die Frau machte und ihn mit ihr verband.
Er hielt die Steine in der Faust umklammert. Niemals würde er wieder ein Troll sein können oder gar unter ihnen leben. Dass er die erste Frau, die er getroffen hatte, nicht beeindruckt hatte, bedeutete nicht, dass er niemals eine Partnerin finden würde. Er würde eben ihre Sitten lernen müssen.
Mittlerweile drang kein Sonnenlicht mehr in das Versteck, doch für die Abenddämmerung war es noch viel zu früh. Er krabbelte aus dem Loch, schaute zum Himmel und schnupperte. Dunkle Wolken jagten über den Horizont. Ein Wind, der nach Sturm roch, brachte die Bäume zum Schwanken.
Zweige fielen von den Baumwipfeln. Made entdeckte einen Ast am Boden, der etwa die Länge eines Speers hatte und schön gerade gewachsen war. Er hob ihn auf, zielte auf einen weiter entfernt liegenden Stamm und warf. Der Ast segelte weit im Wind.
Während die ersten dicken Wassertropfen auf seine Schultern prasselten, rannte Made los, um den Stock aufzuheben und es erneut zu versuchen.
Der Himmel brach auf und ergoss sich in einem plötzlichen Platzregen. Blitze zuckten wie Schmerzstöße zwischen den Wolken,
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