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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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unter dem Hut hervor!«
    »Ich wette, was ihr wollt, daß ihr euch beide irrt.«
    Im Geiste sah ich eine ältere, elegant gekleidete Frau vor mir, die ein Wildlederkostüm trug, dazu Stöckelschuhe, eine Perlenkette und ein breites Silberarmband. Auf ihrer Nase saß eine schmale Brille, ein dünnes blaues Metallgestell. Ihre Bewegungen waren vornehm, ihre Stimme und ihre ganze Art zu reden einfach distinguiert. Was zum Teufel sollte sie mit dieser viel jüngeren Frau mit Cowboyhut verbinden, die dreckige Stiefel, ein schmutziges kurzärmeliges Hemd und alte Militärshorts trug und Kisten schleppte wie ein Hafenarbeiter? Also wirklich! Dafür hätte sie schon Jekyll und Hyde sein müssen.
    »Na gut, dann haben wir uns geirrt. Aber laßt uns trotzdem hier verschwinden für den Fall, daß sie zufällig kommt.«
    Wir hasteten zurück Richtung Akapana-Pyramide, als sei uns der Teufel auf den Fersen.
    »Vielleicht sollten wir ganz abhauen«, murmelte Jabba nachdenklich.
    »Yonson Ricardo wird ab Punkt >Uhr vierzehn< auf uns warten«, rief uns Proxi in Erinnerung, den Taxifahrer nachahmend, der uns mit dieser sonderbaren, typisch bolivianischen Uhrzeitangabe überrascht hatte. »Bis dahin sind es noch etwas über zwei Stunden.«
    »Wir haben doch die Nummer seines >Funktelefons<«, konterte ich mit dem landesüblichen Wort für >Handy<.
    »Nein, wir können jetzt noch nicht hier weg«, erwiderte sie entschlossen. »Wir müssen die Eingänge zur Kammer von Lakaqullu finden, wie geplant. Laßt uns mal überlegen, wie uns das gelingen könnte. Und wenn wir dabei ständig aufpassen müssen, daß uns keiner zu nahe kommt.«
    An der nächsten Wegkreuzung bogen wir nach links ab zum Putuni-Komplex, dem Palast der Sarkophage. Laut unserem Heft hatten dort die Priester von Tiahuanaco gewohnt, in Zimmern mit rötlichen Wänden, die sich rings um sonderbare Löcher im Boden erhoben. Diese Auskunft verblüffte uns einigermaßen. Unsere Nachforschungen in Barcelona hatten ergeben, daß die Capacas und Yatiri im Kerikala residiert hatten, dem Gebäude, das wir als nächstes besichtigen wollten. Nun gut, hier gab es ohnehin nicht mehr viel zu sehen, noch nicht einmal jenes vermeintlich unüberwindliche Tor war stehengeblieben, von dem die Konquistadoren irrtümlich vermutet hatten, es verbergen sich dahinter große Schätze.
    Kerikala war die vorletzte Enttäuschung, obwohl ich so etwas eigentlich nicht sagen sollte. Wollte man sich zum Richter über die Vergangenheit aufschwingen, könnte man ebensogut die Akropolis in Athen als einen lächerlichen Abklatsch ehemaliger Größe betrachten. In unserem Fall ließ sich aber nicht leugnen, daß Konquistadoren und Einheimische gemeinsam diesen Ort systematisch und gründlich zerstört hatten. Das nahe Dorf Tiahuanaco (besonders dessen Kathedrale) und die Eisenbahnlinie La Paz-Guaqui mochten Nationalstolz befeuern und eine wichtige gesellschaftliche Funktion erfüllen. Doch nichts konnte die Verwüstung rechtfertigen, der ein so wichtiger und unwiederbringlicher Ort wie Taipikala zum Opfer gefallen war, den man ungeniert als Steinbruch mißbraucht hatte.
    Endlich erreichten wir das nördlich von Kerikala gelegene Lakaqullu. Wir konnten es kaum fassen, daß wir wirklich dort waren, obgleich sich dieses dort in einem Satz zusammenfassen ließ: Es war ein kleiner Haufen rötlicher Erde mit vier Steinstufen, die zu einem Tor aus grünlichem Andesit führten. Das Tor wiederum war ein so schlichtes, schmuckloses Steinobjekt, daß es auch aus einer beliebigen modernen Backsteinfabrik hätte stammen können. Um uns herum breitete sich bis zu dem Tiahuanaco eingrenzenden Stacheldrahtzaun hohes Gestrüpp aus. Wer sich anstrengte, konnte hinter der Umzäunung Lastwagen und Busse über die Landstraße rollen sehen.
    »Ist das alles?« Ich war mißmutig. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, vielleicht etwas Auffälligeres, Schöneres oder, im Gegenteil, etwas so Häßliches, daß es einem ins Auge stach. Jedenfalls war Lakaqullu das Ärmlichste und Kläglichste von allem, was wir an diesem Morgen in Taipikala inspiziert hatten. Hier gab es nichts, und wenn ich nichts sage, meine ich es wörtlich: nichts.
    Wir standen allein vor den Stufen. Die übrigen Touristen, die die Anlage besichtigten, hielten es offenbar nicht einmal für nötig, bis hierher zu laufen. Dieser Ort lag weitab von den übrigen Ruinen und war, wie gesagt, nicht gerade sehenswert.
    »Hör mal, Root«, fragte Proxi herausfordernd,

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