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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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bringen, da wir vorhätten, nachmittags noch einmal zurückkommen. Er strahlte noch mehr.
    Wieder raste er wie ein Wahnsinniger bis nach Tiahuanaco, das nur ein paar Minuten von den Ruinen entfernt lag, und schoß wie ein Blitz durch den Ort. Tiahuanaco war ein hübsches Dorf mit niedrigen Häusern, das sauber und ordentlich wirkte. In den Straßen boten die Händlerinnen der Aymara mit ihren bunten, bauschigen Röcken, ihren Fransenumhängen und ihren unter einer Melone hervorbaumelnden langen, schwarzen Zöpfen ihre Waren feil: getrocknete Pfefferschoten, Zitronen und lila Kartoffeln. Yonson Ricardo erklärte uns, Aymara-Frauen, die ihre Melone schräg aufsetzten, seien ledig, und die verheiratet, die sie gerade trügen.
    »Señores, die Kathedrale von Tiahuanaco! San Pedro!« verkündete er plötzlich, als wir an einer kleinen, im Kolonialstil erbauten Kirche vorbeisausten, an deren Gitter viele alte Fahrräder lehnten.
    Natürlich hatten wir keine Zeit für einen zweiten Blick, denn wir waren längst weit entfernt, als seine Ankündigung verhallte. Ich hätte die Kathedrale gerne besichtigt, um nachzusehen, ob auf den Steinen noch Reste alter bildhauerischer Arbeiten im Tiahuanaco-Stil zu finden waren, doch Yonson Ricardo hielt bereits inmitten einer großen Staubwolke vor einem ockerfarbenen Häuschen. Auf die Fassade waren in weißen Buchstaben die Worte >Hotel Tiahuanacu< gepinselt. An der Hauswand hing ein großes Schild, das für Taquiña Export, Boliviens berühmtestes Bier, warb.
    »Das beste Restaurant des Orts!«
    Wir stiegen aus und wechselten verstohlene Blicke, die unsere ernsten Zweifel an dieser Feststellung ausdrückten. Yonson Ricardo verschwand in der Küche, sobald er uns Gastón Rios, dem Hotelbesitzer, vorgestellt hatte. Dieser geleitete uns auf ausgesprochen liebenswürdige Art zu einem kleinen Tisch und empfahl uns gegrillte Forelle. Die Sonne schien durch die Fenster, und das Reden der zahlreichen Gäste bildete eine dichte Geräuschkulisse, so daß wir uns fast nur schreiend unterhalten konnten.
    »Offenbar kassiert unser Taxifahrer in der Küche seine Kommission dafür, daß er uns Touristen hierhergebracht hat«, sagte Proxi lächelnd.
    »In diesem Land muß man clever sein«, erwiderte ich. »Die Leute hier sind sehr arm.«
    »Die ärmsten in ganz Südamerika. Das habe ich in der Zeitung gelesen, als ihr wegen der Höhenkrankheit flachgelegen habt.
    Über sechzig Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Die diktatorischen Regime, die hier in den siebziger Jahren regierten, haben die Auslandsschulden auf über vier Milliarden Dollar hochgetrieben. Dabei ist dieses Geld noch nicht einmal dem Land zugute gekommen. Laut einem Typen, der in einem Artikel erwähnt wurde, sind nahezu drei Viertel des Geldes auf Privatkonten bei amerikanischen Banken gelandet. Seitdem müssen die Bolivianer höhere Steuern aufbringen, und viele haben ihre Arbeit verloren. Medizinische Versorgung und Schulbildung sind völlig unzureichend. Und das alles, weil sie Geld zurückzahlen müssen, das ein paar Gauner in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Die Ärmsten von allen sind die Indios. Denen bleibt nichts anderes übrig, als Coca anzubauen, um zu überleben.«
    »Das kapier ich einfach nicht«, rief Jabba wütend. »Wenn du in Spanien bei einer Bank einen Kredit beantragst, wollen sie sogar die Taufurkunde deiner Mutter sehen. Aber wenn ein x-beliebiges Land, das von schamlosen Gaunern regiert wird, den Internationalen Währungsfonds oder die Weltbank um Kredite in Millionenhöhe bittet, dann heißt es mal eben: Kein Problem, hier sind die Millionen, Amigos. Ihr könnt damit machen, was ihr wollt. Und dann? Dann müssen sich alle krummlegen, und manche verhungern sogar, damit die Millionen zurückgezahlt werden können. Also ehrlich, das kapier ich einfach nicht!«
    Mit einer Menge Wut im Bauch diskutierten wir weiter und ersannen Lösungen, die wir drei jämmerlichen, unbedeutenden Einzelwesen niemals würden umsetzen können. Dabei aßen wir eine undefinierbare, kräftig gewürzte Suppe mit merkwürdigen Kartoffeln darin. Als man gerade unsere Teller abräumte und jedem eine Forelle servierte, öffnete sich die Tür des Gastraumes. Und herein kam eine Gruppe von Leuten in Hemd, kurzer Hose und robusten Lederstiefeln. Allen voran ging die Doctora - ja, sie war es tatsächlich - und unterhielt sich mit dem Typen neben ihr mit kahlgeschorenem Kopf, Brille und einem kurzen, angegrauten Bart.

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