Der verlorene Ursprung
mitgebracht haben, oder Sie und Ihre Freunde ...« Sie blickte kurz zu dem Tisch hinter mir. »... sind besonders schlau und haben in wenigen Tagen das geschafft, was uns Jahre harter Arbeit gekostet hat.«
»Ich werde darüber hinwegsehen, daß Sie meinen Bruder erneut des Diebstahls bezichtigen. Es hat keinen Zweck, mit Ihnen zu diskutieren, Doctora Torrent. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Sie werden es noch bedauern, meinen Bruder in dieser Weise verunglimpft zu haben. Ach, natürlich ...« Ich trat zur Seite und fuhr in übertrieben höflichem Ton fort: »Dies sind meine Freunde, Lola Riera und Marc Martí. Das ist Doctora Torrent, von der ich euch so viel erzählt habe.«
Beide waren aufgestanden und reichten ihr die Hand. Die Doctora schüttelte sie, ohne daß sich ihre Miene aufhellte. Genaugenommen lächelte keiner von uns.
Dann wandte sie sich wieder an mich. »Wie Sie gesagt haben, Señor Queralt, wer zuletzt lacht, lacht am besten. Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Aber eines sage ich Ihnen lieber gleich, da ich nicht weiß, welches Ihre wahren Absichten sind. In Tiahuanaco gilt jede Ausgrabung, die ohne die notwendige behördliche Genehmigung begonnen wird, als ein schweres Vergehen. Und das wird hierzulande mit Haftstrafen geahndet. Das könnte Sie und Ihre Freunde für den Rest Ihres Lebens hinter Gitter bringen.«
»Ganz recht, Doctora. Aber ich darf Sie meinerseits daran erinnern, daß auch in Spanien Diebstahl, Plagiat oder ähnlicher Mißbrauch von akademischem Forschungsmaterial bestraft wird. Mit Ihrem Ruhm könnte es dann für immer vorbei sein, ebenso mit Ihrem Universitätsposten und Ihrem guten Ruf.«
Sie lächelte ironisch. »Vergessen Sie das nur nicht.« Sie drehte sich um und entfernte sich langsam, mit diesem geschmeidigen Gang, der mir schon in Barcelona an ihr aufgefallen war und absolut nicht zu ihrem momentanen Aufzug paßte.
Ich nahm ebenfalls wieder Platz, während Marc und Lola noch immer dastanden wie zwei Stehaufmännchen.
»Wollt ihr euch nicht endlich hinsetzen?« fuhr ich sie wütend an. »Es ist nichts passiert, okay? Also kommt essen, unsere Forellen werden kalt.«
»Unglaublich!« Proxi ließ sich wie ein nasser Sack auf ihren Stuhl fallen. »Echt ein starkes Stück! Habt ihr gehört, wie sie uns gedroht hat?«
»Und ob ich es gehört habe«, entgegnete Jabba. »Mir wird ganz schlecht bei der Vorstellung, ich könnte noch mit sechzig in einem bolivianischen Gefängnis sitzen.«
»Ach was, alles Quatsch! Habe ich euch nicht gesagt, wie sie ist? Habe ich euch nicht gewarnt? Jetzt habt ihr’s selbst erlebt! Sie ist zu allem bereit, nur damit wir ihr nicht ihre große Entdeckung vermasseln! Eine Entdeckung, die sie allein meinem Bruder verdankt!«
Marc und Lola warfen mir einen merkwürdigen Blick zu, und ich wußte, daß es Marta Torrent gelungen war, sie zu verunsichern.
»Bist du dir sicher, Arnau? Bitte sei nicht beleidigt, aber ... bist du dir ganz sicher?«
Ich schnalzte mit der Zunge und seufzte. »Du kennst doch Daniel, Proxi. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
Zerknirscht ließ sie den Kopf hängen. »Du hast recht, entschuldige bitte. Aber diese Frau hat etwas unheimlich Überzeugendes an sich. Sie wäre fähig, dem Heiligen Geist höchstpersönlich Zweifel einzuflößen!«
»Sosehr ich mich auch bemühe«, fügte Jabba mißmutig hinzu, »ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Daniel etwas klaut. Aber ich muß zugeben, diese blöde Kuh hat es geschafft, daß ich ihm für einen Moment mißtraut habe.«
»Also, fahren wir wieder nach Tiahuanaco oder nicht?« fragte Proxi mich.
»Natürlich fahren wir wieder hin. Auch wenn wir heute nicht viel weiter kommen sollten, können wir zumindest versuchen herauszufinden, wie man in die Kammer gelangt.«
In düsteres Schweigen gehüllt, aßen wir zu Ende, und nachdem wir bezahlt hatten, verließen wir das Lokal, ohne die Doctora noch eines Blickes zu würdigen. Yonson Ricardo brachte uns zurück zu den Ruinen und versprach, um >Uhr sechs< wieder dazusein und uns nach La Paz zu fahren. Doch unsere gute Laune vom Vormittag war verflogen, wir waren niedergeschlagen und ernst. Und da es auf den Spätnachmittag zuging, spürte man die empfindlich zunehmende Kälte des Hochlandes.
Wie zerschundene Schiffsbrüchige kehrten wir zum Sonnentor zurück und versuchten, im Licht des sich neigenden Tages die vielen Einzelheiten in Augenschein zu nehmen, die sich in den Darstellungen dieses wundervollen
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